Druckbetankung

Bericht

Die Night of Surprise 2025 in Köln

Türen auf, Eintritt frei – Druckbetankung. Mit 21 Acts in zwölf Stunden quillt die „Night of Surprise 2025“ über vor musikalischen Überraschungen. Während in Donaueschingen das Feld der Neuen Musik abgesteckt wird, werden in Köln die Geländer im Stadtgarten demontiert. Zwischen vier Bühnen lässt sich frei herumziehen in einem weiten Feld der Experimente.

Nach vier Performances in der Christuskirche, deren hallige Akustik für Ambient-Sets, aber auch für eine Aufführung von Kurtágs „Kafka-Fragmenten“ und eine audiovisuelle Komposition von Stian Westerhus und Frieder Weiss genutzt wird, leitet das Duo Daou aus Dudelsackspieler Erwan Keravec und Tänzer Alban Richard über zum Hauptprogramm im Stadtgarten: Richard empfängt die sich langsam von der Christuskirche nähernden Rufe des Dudelsacks mit aufgeregten Schreien und tanzt sich emsig durch die erwartungsvolle Menge der draußen harrenden Zuschauer:innen. Dann geht es los mit den Altmeistern der freien Improvisation Fred Frith und Tim Hodgkinson sowie der Trompeterin Liz Allbee. Die gestisch intuitive Erweiterung von Spieltechniken entfacht die diebische Freude am Chaos, in dem der weite Atem der Trompeterin Allbee manchmal etwas verloren wirkt und die Aufmerksamkeit von Salven über Salven an Impulsen und Klangausbrüchen schnell ermüdet. 

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Placebo Domingo. Foto: Zalesskaya

Also runter ins Jaki, wo die Kölner Formation Placebo Domingo nicht weniger energiegeladen Feuer entfacht: Philip Zoubek, David Helm und Dominik Mahnig kommen hörbar vom Jazz, lösen diese Elemente jedoch in gewaltigen Akkordwänden, einer frei flottierenden Rhythmik und geräuschverzerrten Vocals auf. Ein Lavastrom des Klangs, über den Zoubek stechende Synthesizer-Läufe legt und das Trio sich nur in ruhigere Akkordtäler bewegt, um sogleich wieder zu ungeheurer Intensität aufzuspielen – eine heilsam überfordernde Ohrendusche.

Da lässt man die Solo-Performance des musikfabrik-Kontrabassisten Florentin Ginot lieber mal aus und erholt sich bei Gespräch und Getränk im prall gefüllten Stadtgarten. Was habe ich wohl alles verpasst – bis Ute Wassermann im Trio Thuluth mit ihren verblüffenden Stimm- und Vogelpfeifeneffekten meine Aufmerksamkeit wieder eine Weile in Anspruch nimmt?

Gänzlich in Atem hält dann der Auftritt von Horse Lords & Arnold Dreyblatt. Der Komponist und Bassist Dreyblatt eröffnet das Set mit schillernden Obertontänzen auf seinem Kontrabass und bleibt auch nach dem Einsatz der Band aus Baltimore das höchste Instrument im Tonbereich. Der Einsatz von Saxofon, Gitarre, E-Bass und Schlagzeug überrascht mit einem fast schon klischeehaften Einzählen und basalen Rock-Licks, die aus jeder beliebigen Garage hätten stammen können. Das Klischee zerfließt aber bald in der Just Intonation der Band und einer Zeitlichkeit, die das Songhafte ins Unendliche zu dehnen scheint. Polyrhythmisch nicht ganz so präzise wie auf den Alben schraubt sich die Band in trancehafte Zustände, die jene Lügen strafen, die die Zutaten dieser genau komponierten Performance für unbeholfen schulbandmäßig halten. Gerade, wenn sich ein Zustand in den kreisenden Rhythmen und schillernden Harmonien zu erschöpfen droht, wiederholt sich die Überraschung auf der nächsten Ebene – in einer rätselhaften Harmonielehre tut sich mit dem nächsten Einzählen ein weiterer Himmel im Just-Intonation-Universum auf, und wieder einer – oder sind die Stufen zum Kreis gebogen? Elevation ist das Prinzip, und nach dem Konzert ist der Boden nicht mehr derselbe.

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Horse Lords & Arnold Dreyblatt. Foto: Zalesskaya

Unterdessen hat sich der Abend in Richtung produzierter elektronischer Musik bewegt, die im Jaki ein ganz neues, überwiegend junges Publikum anzieht. Andras_2020 & Sarah San bringen eine symphonisch grandiose Stimmperformance mit abgestimmtem Video auf die Bühne, Lechuga Zafiro beglückt mit tanzbar kreisenden Field Recordings, die sich zu einem melodischen Ohrenkitzel fügen und dem Körper mannigfaltige Zugänge in die lateinamerikanisch vielschichtigen Rhythmen bieten. Highlights aus der avancierten Clubkultur tragen den Abend bis in die Morgenstunden und sorgen für lange Schlangen: Slikback präsentiert seine ungefilterte Expressivität in hochenergetischer Verbindung von Tanz-, Noise-, Game- und Experimentalmusik und Zíur schließt den Kreis zur improvisierten Musik, indem sie das DJ-Pult zum Live-Instrument macht.

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Andras. Foto: Niclas Weber

Es ist schön, am Ende des Abends voller Musik zu sein und trotzdem mit dem Gefühl nach Hause zu gehen, den Großteil verpasst zu haben. Ein Gefühl des Reichtums und der Weite, eine Ahnung der ewigen Vielfalt in den Zwischenräumen und der Kraft von unmarkierten Sounds in einer Welt der Markierungen. Geglückt ist das der – mit Unterbrechungen nun schon seit 2014 im Kölner Kulturleben verankerten – Night of Surprise auch, weil alle bislang beteiligten Künstler:innen ihre Empfehlungen und Tipps für neue Musik beigesteuert haben und ein großes Kuratorium bei der Auswahl des Programms beteiligt war. So ist ein Programm entstanden, das viele in Deutschland selten zu hörenden Künstler:innen mit eigenständigen lokalen Stimmen vereint. Vielfalt schafft Vielfalt – und die hoffnungsvolle Perspektive, noch überrascht werden zu können.

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