Wider den Methodenzwang
BerichtBericht über die Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Köln
Die Gesellschaft für Musikforschung hat für ihre Jahrestagung 2024 nach Köln eingeladen, eine Stadt, die nicht nur durch ein reiches musikalisches Erbe besticht, sondern gleich an zwei Standorten musikwissenschaftliches Arbeiten lehrt: Beide, die Universität zu Köln und die Hochschule für Musik und Tanz (HfMT), waren Austragungsort der Tagung vom 11. bis 14. September. „KOLLABORATIONEN ∞ Wider den Methodenzwang” hieß das diesjährige Thema, und in der Betrachtung musikwissenschaftlicher Methoden und Forschungsfelder waren vor allem die interdisziplinären Zugänge die wichtigsten Schwerpunkte.
Bereits der Einstieg in die Tagung machte dies deutlich: Das Student Panel, organisiert von Hannah Otto und Paul Zoder, stellte am Mittwoch neben anderen Vorträgen den Auftakt dar und schloss besonders auffallend an Studiengänge der HfMT an. Unter dem Titel „Machtstrukturen in Musik, Musikforschung und Musikpädagogik“ überzeugte das Panel durch hochaktuelle Themen wie „(Neuro-)Queering the Archive“, Übergriffigkeiten in Überäumen der Hochschule oder das Wahrnehmen von Räumen durch den eigenen Körper. Besonders spannend war dabei ein Gespräch mit Journalist:innen, die über Missbrauchsfälle in der Musiklandschaft berichtet haben, wobei mehr über den Prozess der Entstehung solcher Artikel zu erfahren war. Meist wenden sich die betroffenen Personen selbst an die Journalist:innen, um ihre Erfahrungen öffentlich zu machen. Während sie gegenüber der übergriffigen Person häufig in einer untergeordneten Machtstellung sind, kann ihnen der Journalismus helfen, selbstwirksam zu werden. Allerdings stellt sich die Frage, warum sich Betroffene in solchen Fällen an die Presse wenden. Gibt es keine anderen Anlaufstellen, um die benötigte Hilfe zu erbitten? Ist der Schritt über die Öffentlichkeit notwendig, damit es für die übergriffige Person Konsequenzen hat? Und wie viele Betroffene trauen sich nicht etwas zu sagen, weil sie Angst vor negativen Auswirkungen haben?
Offenkundig spielt das Thema Macht für Musikschaffende eine große Rolle. Zwischen Studierenden gibt es Machtgefälle, je nachdem, welches Geschlecht, welche finanziellen Mittel oder welche Herkunft man hat. Sowohl in der Ausbildung als auch im späteren Berufsleben ist man auf das Wohlwollen von Menschen angewiesen, die über einem stehen, denn die beruflichen Möglichkeiten und damit die Sicherung eines finanziellen Einkommens sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, Anlaufstellen für Musikschaffende zu etablieren, die einen sicheren Raum bieten, um über Missbrauchserfahrungen, Diskriminierung und Übergriffigkeiten zu reden. An manchen Hochschulen ist dieser Prozess schon im Gange. Beim Student Panel war leider das Publikum so jung wie die Vortragenden selbst. Nur wenige ältere Personen, welche häufig eine höhere Machtposition innehaben, fanden den Weg in die Runde. Kollaboration bedeutet auch, dass erfahrenere Wissenschaftler:innen von den Themen und Ideen noch auszubildender Studierender durchaus profitieren.
Auch der Eröffnungsabend spiegelte die vielfältigen musikwissenschaftlichen Diskurse und Schnittstellen zu anderen wissenschaftlichen Gebieten wider. Musikalisch wurden die Redebeiträge von recht unterschiedlichen Darbietungen begleitet. Es erklangen unter anderem Auszüge aus Kai Wessels Programm „Bülbül und Rossignol”, das barocke Vokalwerke mit türkisch-alevitischer Musik verknüpft, und vier Studien von Andrés Mauricio Quezada León für programmiertes Disklavier, das durch eine Kombination aus der annähernden Reproduktion der Klänge menschlicher Stimmen und einem eingeblendeten Text mit dem Publikum zu sprechen schien. Auch der Festvortrag des Soziologen Hartmut Rosa betonte den interdisziplinären Ansatz der Tagung. Methodenfragen wurden auch an den folgenden Tagen im Eröffnungspanel „Artistic Music Research“ und im Hauptsymposium „ACOUSTIC RESEARCH“ aufgeworfen.
Reenactment, Performances und die Vorstellung künstlerischer Projekte für die Öffentlichkeit: die vielfältige Gestaltung der Tagung war besonders erfrischend. Fragen von Intersubjektivität und Objektivität, Individualisierung, politischem Engagement oder Prozesshaftigkeit wurden sowohl für Kunst als auch für Wissenschaft eröffnet und diskutiert. Das Hauptsymposium „ACOUSTIC RESEARCH: Künstlerische Intelligenzen“ schaffte es zum großen Teil, die künstlerischen Forschungsmethoden auch in die Gestaltung des Panels mit einzubinden: In jedem der vier Blöcke zu den Themen „Künstlerische Intelligenzen“, „Akustische (Im)Materialitäten“, „Ludomusicology“ und „Sonic Diversity“ bildeten je zwei Persönlichkeiten aus Wissenschaft und künstlerischer Praxis unter wechselndem Chair ein kollaboratives Team. Zwar bestanden die Präsentationen wie gewohnt aus Vorträgen, die Ergebnisse präsentierten, Vorgehensweisen erläuterten und in Themen einführten, aber auch Performances und Nachstellungen des Forschungssettings wurden in die Präsentationen mit eingebaut. Am Ende wurden die Zuhörenden dazu ermutigt, sich durch eine dynamische Kleingruppenarbeit über die Inhalte des Panels auszutauschen, eigene Erkenntnisse festzuhalten und mit anderen zu teilen – was spannende Ergebnisse erzielte.
Die Diskussionen im Rahmen der Tagung begleitete im Allgemeinen eine produktive Gesprächsatmosphäre. Das Panel „SOUND | HACKS“ diente als Auftakt zur Neugründung der Forschungsgruppe „Musik und Medien” im Rahmen der GfM-Vollversammlung. Das Panel betrachtete umfassend die Schnittstellen zwischen Musik, Medium und Medialität in einem weiten Sinne: Mit praktischen Beispielen und Anschauungsmaterial wurden die Welten von Klangspeicherung, Übertragung und performativem, materiellem und immateriellem Prozessieren von Klang beleuchtet. Dabei waren die dargestellten Medien ebenso abwechslungsreich wie die Präsentationsformen, zum Beispiel als Hybrid zwischen Performance und Präsentation zur Vorstellung des Ableton Push auf dem Ableton Push oder als Einführung in die objektorientierte Medienarchäologie – ohne das eigentliche Objekt untersuchen zu können – anhand des Phonophotographen. Eindrücklich war vor allem die Untrennbarkeit und Interaktion von Musik mit der jeweiligen Medienlandschaft, sei es eine musikgeschichtliche Bedingtheit des Mediums, das Hervorbringen von Hörverhalten oder die mehr oder minder erfolgreiche Bewirtschaftung des Hörens auf und mit den jeweils vorgestellten Medienobjekten.
“Wider den (Methoden-)Zwang” war auch die Abschlussfeier. Das musikalische Rahmenprogramm boten der Audio Landscape-Musiker Hainbach, ein Free Jazz-Ensemble aus Studierenden der HfMT sowie Lola Rubio mit einem DJ-Set. Die musikalische Gestaltung lud zum Zuhören ein und lockerte nicht nur die Tanzbeine, sondern sorgte auch für eine angenehme Atmosphäre bis spät in die Nacht.
Das Motto „Kollaborationen“ zog sich wie ein roter Faden durch die Themen, Forschungsmethoden, Diskussionen und Disziplinen, die sich für die GfM-Jahrestagung 2024 zusammengefunden hatten. Zwar waren zwei Austragungsorte im praktischen Tagungsalltag gelegentlich eine Herausforderung, aber so konnten die Besuchenden die Wege, um Standpunkte und Disziplinen miteinander zu verbinden, nicht nur abstrakt, sondern auch durch das Kölner Stadtbild nachvollziehen. Somit ist der Tagung auf jeden Fall die Umsetzung der „KOLLABORATIONEN“ gelungen: Sie hat Forschungsfelder, Meinungen und Menschen zusammengebracht, wofür vor allem auch dem gesamten Organisationsteam und den Helfenden zu danken ist.