Wo der Atem spricht

Bericht

MaerzMusik 2025 unter der Leitung von Kamila Metwaly

Das Festival MaerzMusik lud 2025 unter der künstlerischen Leitung von Kamila Metwaly zu einer zehntägigen Expedition ein, die sich der Frage widmete: Wie klingt – und wie politisch ist – das Atmen? Obwohl als Thema nicht explizit benannt, rückte das Festival den Atem, den Körper und seine möglichen technischen sowie analogen Erweiterungen in den Mittelpunkt. Mit über 230 beteiligten Künstler:innen, 27 Veranstaltungen und einer Auslastung von über 93 % bei mehr als 6.500 Besucher:innen zeigte sich die hohe Resonanz auf ein ambitioniertes Programm. Das Programm selbst trat als kuratorisches Statement in Erscheinung: eine Abkehr vom bloß Spektakulären, eine Hinwendung zum Fragilen und Widerständigen – ein Anliegen, das zwar spürbar, jedoch nicht durchgängig überzeugend eingelöst wurde.

Der Eröffnungsabend mit der deutschen Erstaufführung von „MELENCOLIA“, einer multimedialen Musiktheaterinstallation der Komponistin Brigitta Muntendorf und des Dramaturgen Moritz Lobeck, widmete sich dem vielschichtigen Begriff der Melancholie – ein anspruchsvolles Unterfangen, das in vielen Momenten beeindruckte. Die technische Umsetzung und die visuelle Gestaltung – etwa durch ein expressives Bühnenbild mit digitalen Projektionen und den Einsatz von Greenscreens – beeindruckten durch ihre Vielseitigkeit und stimmige Inszenierung.

Statt eines klar konturierten Reflexionsraums eröffnete sich jedoch ein assoziatives Geflecht, das mehr durch formale Vielfalt als durch inhaltliche Tiefe bestach. Das Übermaß an Reizen führte stellenweise zu einer Überlagerung, bei der sich introspektive Momente nicht voll entfalten konnten. So blieb das Erlebnis trotz starker Einzelkomponenten eher an der Oberfläche – mehr ästhetisches Spiel als tiefgreifende Erkundung.

„You want to find a way to monetize your pain?“

„Minor Characters“ (2023), ein hybrider Liederzyklus für das 21. Jahrhundert von Jennifer Walshe und Matthew Shlomowitz, setzte sich mit den oft übersehenen „Nebenfiguren“ der Online-Welt auseinander – den alltäglichen, manchmal humorvollen Figuren, die in den Tiefen des Internets agieren. Das Stück sprengte mühelos die Grenzen von Konzert, Performance, Kabarett und Meme-Kultur. Die Collage aus Social-Media-Ausschnitten, Verschwörungstheorien und digitalen Fragmenten spiegelte die Absurditäten und Eigenheiten der modernen Online-Kultur: „You want to find a way to monetize your pain?“, „Your Uncle is Into the Crypto Now“. Nach der Performance höre ich auf den Toiletten des Radialsystems neben mir den Kommentar: „She is the Queen of Timing“ – genau mein Gedanke: Die Präzision, mit der Walshe und Shlomowitz die digitale Entfremdung und die Absurditäten des Online-Lebens entlarven, erzeugte in der Tat ein Timing, das seinesgleichen sucht, in perfektem Zusammenspiel mit dem performenden Ensemble Nikel.

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Minor Characters- Jennifer Walshe - Ensemble Nikel © Berliner Festspiele, Foto: Camille Blake

Noch benommen von dieser hypermedialen Energie fand sich das Publikum am selben Abend erneut vor dem Ensemble Nikel, jedoch in einer völlig anderen Konstellation. Was zuvor flackerte, schrie und vibrierte, verwandelte sich in „limina / Sensation 1“ zu einer Langzeitstudie in Grenzerfahrungen. Der Wechsel war radikal: dieselben Musiker:innen, aber in anderen Outfits und geradezu in anderen menschlichen Aggregatzuständen. Humorvoll wechselte Schlagzeuger Brian Archinal sein Hemd gegen einen Pullover mit der Aufschrift „SILENZIO“. Zunächst erklang „limina“ für Quartett und Licht von Mark Barden, mit einer hypnotischen, immersiven Umgebung, die zum Eintauchen in Klangstrukturen einlud. Wo zuvor Popsamples und digitale Überladung dominierten, traten nun das Leise und körperlich schwer Fassbare in den Vordergrund. Der Abend endete mit Ligia Lewis' Performance „Sensation 1“ (2011/2021), einer stummen Choreografie, die zu einer intensiven Stille führte.

Der folgende Abend unter dem Titel „Yarn/Wire“ mit dem gleichnamigen Ensemble begann mit einer fast physisch spürbaren Spannung. Sarah Davachis „Feedback Studies For Percussion“ eröffnete das Konzert mit einer ruhigen Symmetrie, die sich langsam entfaltete – wie ein stillgelegtes Kraftwerk, das wieder erwacht. Es folgte Jad Atouis „In Memory“: ein intensives Rauschen, das mit Kettensäge und Waschmaschine endlose Kreise zog, während das Mikrofon am Becken eine intime Klangwahrnehmung schuf. Zugänglich, aber nie oberflächlich. Clara Iannottas „glass and stone“ drehte schließlich die Zeit zurück: eine akustische Schleife aus präparierten Klavieren und Elektronik, die sich plastisch entfaltete – eine intime Auseinandersetzung mit Verlust und Erinnerung, in der sie laut Programmheft den Tod ihrer Mutter verarbeitet hat.

Von „Voice is the original instrument“ zu „Next to voice, percussion is the first instrument“

Die Pionierin der experimentellen Vokalmusik, Joan La Barbara, bot in ihrem Programm „Voice Is the Original Instrument“ einen Tiefgang in die Möglichkeiten der menschlichen Stimme. Die inzwischen 77-jährige Sängerin integrierte die Grenzen ihrer alternden Stimme in ihre Performance, indem sie einige Teile von Aufnahmen ihres jüngeren Ichs singen ließ. Ihr ganzer Körper wurde Teil des Klangs. Es entstand ein faszinierendes Spiel zwischen Obertönen, Brüchen und Stimmlagen, das fast wie eine kollektive Intelligenz wirkte und Zeitgrenzen sprengte. 

Im Podiumsgespräch erklärte die Komponistin Chaya Czernowin die Wahl ihrer Instrumentierung mit ähnlichen Worten: „Next to voice, percussion is the first instrument“. Mit „POETICA“ präsentierte sie bei MaerzMusik ein Werk, das sich jeder eindeutigen Lesart entzieht – und genau darin seine Kraft entfaltet. Der Schlagzeuger Steven Schick stand als atmender, sprechender, schlagender Körper im Zentrum eines vielschichtigen Klangraums. Umgeben von vier Musiker:innen der Percussions de Strasbourg, elektronischen Fragmenten, grollenden Bässen sowie aufgenommenem Protestrauschen und sirenenhaften Streicherflächen, die vom Ensemble Catinblack vorab aufgenommen worden waren. Das Stück wirkte weniger wie eine klassische Komposition als wie ein atmendes, vielstimmiges Wesen. Strukturen, Bedeutungen blieben fragmentarisch – und trotzdem zog die innere Dramaturgie in ihren Bann. Der auditive Einschub des vorab aufgenommenen Taubenschlags war poetisch, absurd und beinahe kathartisch – nur der Clicktrack störte die fragile Magie.

Während Chaya Czernowin in „POETICA“ den Atem als zentrales Element der Perkussion in den Vordergrund stellt und eine intime, fast meditative Sound-Umgebung schafft, verschiebt Enno Poppe in „Streik“ – bei den Donaueschinger Musiktagen 2024 uraufgeführt – den Fokus auf die kollektive Energie: ein Werk, das ganz aus rhythmischer Energie und körperlicher Präzision lebt. Zehn Schlagzeuger:innen agierten als Kollektiv und als Individuen zugleich, ihre Impulse verdichteten sich zu einer vibrierenden, fast organischen Klangarchitektur. Die visuelle und klangliche Präsenz des Ensembles war beeindruckend. Doch mit zunehmender Dauer geriet das Stück ins Kreisen. Was zunächst als rhythmisches Manifest begann, verlor gegen Ende an Spannung.

Line-up der Ikonen

Neben Joan La Barbara, Chaya Czernowin und Jennifer Walshe präsentierte auch Pamela Z in „Other Rooms“ einen Auftritt, bei dem sie mit ihrem ganzen Körper Musik machte. Sie verschmolz Stimme, Elektronik und Video zu einer einzigartigen Performance: Durch den Einsatz von Live-Elektronik und digitalen Loops schichtete sie ihre Stimme in Echtzeit und schuf komplexe Klanglandschaften. Ein charakteristisches Merkmal von Pamela Zs Performance ist die Integration ihres gesamten Körpers in den musikalischen Ausdruck. Mittels Gesten steuerte sie zusätzlich elektronische Klangerzeuger, was den Klang unmittelbar veränderte und die Grenzen zwischen Körper und Technologie verschwimmen ließ.

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 Other Rooms - Pamela Z_Seitenbühne © Berliner Festspiele, Foto: Camille Blake

Der „Salon of Touch“ in der Mitte der Festivalwoche widmete sich der Wahrnehmung durch Berührung und erkundete immersive Erfahrungsräume jenseits des Hör- und Sichtbaren. Besonders eindrucksvoll gelang dies in „A Face Like Yours“ von Aviva Endean: Mit Ohrstöpseln, Klangimpulsen und angeleiteten Selbstberührungen entstand eine intime, beinahe meditative Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesicht – ein Moment der feinsinnigen Reorientierung von Innen- und Außenwahrnehmung. Die weiteren Beiträge des „Salons“ knüpften formal an diese Sensibilität an, konnten deren Wirkung jedoch nicht durchgängig aufrechterhalten. Es blieb der Eindruck einer ästhetischen Versuchsanordnung mit offenen Enden, teils faszinierend in ihrer konzeptionellen Offenheit, teils unvollständig in der Umsetzung. Die angestrebte Immersion stellte sich nur in einzelnen Momenten ein. Vielmehr schien es darum zu gehen, wie alles aussieht: Die visuelle Ästhetik trat stärker in den Vordergrund als die akustische Erfahrung, was die ursprünglich beabsichtigte Immersion auf die haptische Wahrnehmung beschränkte.

Ähnlich ambivalent wirkten zwei Klangperformances in den Sophiensælen, einer freien Spielstätte in Berlin-Mitte: Ute Wassermanns „The Art of Camouflage“ kombinierte Stimmen, Verstärkung durch Messingmegafone und Feldaufnahmen zu einem experimentellen Gemisch, das jedoch trotz technischer Raffinesse bald repetitiv wirkte. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Tarnung blieb auf einer symbolischen Oberfläche und entfaltete keine relevante konzeptionelle Tiefe. Einen radikalen Kontrast bot „The Urban Tale of a Hippo“ von Panayiotis Kokoras – eine immersive Performance, die mit aggressiver Klangsprache und minimalistischer Gestik die Absurditäten urbaner Gegenwart beschwören wollte. Doch so lautstark die Mittel auch waren, das Stück blieb in seiner Symbolik diffus und wirkte in Teilen konstruiert. Beide Arbeiten regten zur Reflexion an, blieben jedoch hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück.

너도, 너도 밤나무 (neodo, neodo bamnamu)

Mit den Worten „Auch du bist ein Kastanienbaum“ verwebt die Poetin Don Mee Choi die Natur der koreanischen Insel Ulleungdo mit der deutschen Insel Rügen – ein Sinnbild für die grenzüberschreitende Poesie dieses Abends. Bei „CHAN: Sonnets and Devotions in the Wilderness“ präsentierte Susie Ibarra ein Werk, das traditionelle philippinische Kundiman-Lieder mit Gedichten von Logan February und Don Mee Choi verbindet. Die Aufführung fand in der eindrucksvollen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche statt, deren Architektur die Musiker:innen in einer kreisförmigen Anordnung vereinte. Es entstand ein Bild von Gemeinschaft und Zirkularität. Ibarra, die als Perkussionistin das Stück leitete, stieß jedoch auf akustische Herausforderungen durch die Besonderheiten des Kirchenraums, was das Zusammenspiel mit der Orgel gelegentlich erschwerte und die rhythmische Kohärenz des Werks beeinträchtigte. Trotz dieser Schwierigkeiten beeindruckten die beiden Sänger:innen Otay:onii (Lane Shi) und Martin Nagy durch ihre kraftvolle und technisch ausgefeilte Interpretation. Doch die Unterschiede in ihren Gesangstechniken führten dazu, dass das gemeinsame Singen in bestimmten Momenten nicht harmonisch wirkte. Das Stück erwies sich einerseits als faszinierend in seiner künstlerischen Konzeption, andererseits bewirkten die akustischen Hürden und die teils uneinheitliche Dynamik eine gewisse Fragmentierung des Gesamtwerks.

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CHAN - Sonnets and Devotions in the Wilderness - 6 Ku © Berliner Festspiele, Foto: Camille Blake

silent green

Zwei Tage fanden im silent green statt, einem Kulturquartier im ehemaligen Krematorium Wedding, das auch namensgebend für die Konzertreihe „silent green 1–4“ war. Das erste Konzert begann mit der Uraufführung von „With a Little Help From My Friends I: Lungless“ von Mazen Kerbaj, das die Zuhörenden mit lauten, körperlich erfahrbaren Klängen aus der von ihm so benannten Putin-Orgel konfrontierte. Kerbaj verwischte die Grenzen zwischen Kriegslärm und Musik und setzte klangliche Erinnerungen an den libanesischen Bürgerkrieg in Szene. Sirenenhupen und pulsierende Frequenzen erzeugten eine konstante Dauerbeschallung, die sich zu einem rhythmischen Muster formierte. Dieses „Klanggewitter“ versuchte, die Schmerzkultur des Konflikts ästhetisch zu reflektieren.

Es folgte der Bariton Ty Bouque, der mit einer bemerkenswerten Stimmakrobatik die Bühne eroberte. Besonders hervorzuheben war die von Bouque selbst benannte, explizit queere künstlerische Position, die sich sowohl in der Wahl als auch in der Interpretation der Werke von Evan Johnson und Georges Aperghis manifestierte. Das Stück „Seated at the Throat“ von Timothy McCormack war der emotionale Höhepunkt des Abends und stellte eine eindringliche Auseinandersetzung mit der Fragilität des Lebens und der menschlichen Stimme dar. Die Beschäftigung mit HIV im Werk evozierte eine tiefgehende Reflexion über die Zerbrechlichkeit des Körpers und die Bedeutung der Stimme als Ausdruck der ureigenen Existenz.

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silent green 1 - Ty Bouque - Seated at the Throat_Kup © Berliner Festspiele, Foto: Camille Blake

Das Konzert wurde mit „Global Breath 1“, dem Ergebnis eines künstlerischen Forschungsprojekts von Marco Blaauw, abgeschlossen, das er bereits bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik 2024 vorgestellt hatte, wenngleich mit anderen Werken. In diesem ersten Teil einer dreiteiligen Reihe wurden neue Kompositionen von Elena Rykova, Ayanna Witter-Johnson, George Lewis und Aaron Holloway-Nahum präsentiert, die neue Perspektiven auf die globale Wahrnehmung der Trompete aufzeigten.

Am selben Abend verlagerte „silent green 2“ den Fokus auf Übergänge zwischen Klangkunst, Ritual und kollektiver Erfahrung. Gemeinsam mit Laienmusiker:innen eröffnete das von Marco Blaauw initiierte „The Monochrome Project“ das Konzert mit Peter Jakobers Komposition „little beauty“, die bereits beim Betreten des Raumes eine Atmosphäre intensiver Konzentration und Spannung erzeugte. Spätestens hier wurde deutlich, dass die vier Konzerte als fließende, ineinandergreifende Bewegungen konzipiert waren. Marco Blaauws künstlerisches Forschungsprojekt „Global Breath“ und sein Ensemble „The Monochrome Project“ fungierten dabei als konzeptionelle wie klangliche Klammer. Immer wieder traten sie in neue Konstellationen mit wechselnden Stimm- und Körperkünstler:innen, was der Reihe zwar Kontinuität verlieh, zugleich aber auch die Gefahr einer gewissen ästhetischen Wiederholung mit sich brachte.

Diese Spannung zwischen Wiedererkennung und Variation setzte sich am folgenden Tag bei „silent green 3“ fort: Eine Person liegt regungslos auf dem Boden, während die Besucher:innen den Raum betreten. Zwei Kameras sind auf sie gerichtet, ihr Körper wird in Echtzeit auf großformatige Projektionen an den Wänden übertragen – ein Akt der Sichtbarmachung, der auf eindrucksvolle Weise Intimität und Kontrolle miteinander verknüpft. Erst im Verlauf wurde erkennbar, dass es sich bei der Person um die Komponistin und Sängerin Laura Bowler handelte, die mit dem Einsetzen der Musik allmählich begann, einzelne Gliedmaßen zu bewegen. Sie überzeugte hier durch ihre eindrucksvolle stimmliche Präsenz und die physische Intensität ihrer Performance. Der zweite Teil von „Global Breath“ zeigte eindrucksvoll Erweiterungen der Trompete durch elektronische Manipulationen. Besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit dem Tänzer Edivaldo Ernesto, dessen Körperausdruck den Raum neu definierte.

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silent green 2 - Peter Jakober - little beauty - The © Berliner Festspiele, Foto: Camille Blake

Der abschließende Teil „silent green 4“ sprengte nicht nur zeitlich die üblichen Konzertgrenzen: Das von 20:30 Uhr bis Mitternacht angesetzte Programm begann mit der Uraufführung von Mazen Kerbajs Werk „With a Little Help From My Friends II: From One War to Another“. Die nahezu einstündige Solo-Performance für Trompete und Crackle-Synthesizer stellte das Publikum sowohl zeitlich als auch klanglich vor eine Herausforderung, was dazu führte, dass einige Besucher:innen den Saal vorzeitig verließen.

Anschließend präsentierte das Ensemble Musikfabrik in „Global Breath 3“ eine Reihe komplexer Kompositionen. Besonders eindrucksvoll gerieten Liza Lims „Incandescent Tongue“ und Oscar Bianchis „Confessioni“, in denen die Trompete durch elektronische Eingriffe nicht nur verfremdet, sondern in überraschende und ungeahnte klangliche Dimensionen geführt wurde. Auch Marco Blaauws „Enigma“ für sechs Muschelschalen eröffnete neue akustische Perspektiven. Trotz der künstlerischen Qualität war die zunehmende Erschöpfung des Publikums spürbar und die Länge einiger Stücke trug zur abnehmenden Aufmerksamkeit bei. Den Abschluss bildete Raven Chacons „Call for the Company, in the Morning“ für acht Trompeten, aufgeführt von „The Monochrome Project”. Inspiriert von traditionellen Jagdhornsignalen, entfaltete die Komposition eine dröhnende Kulisse, die von Stille durchzogen war. Was als akustischer Übergang von Nacht zu Tag konzipiert war, wurde in der Aufführung zunehmend zur Belastungsprobe: Nach der Dichte der vorherigen Programmpunkte verlor das Stück viele Zuhörer:innen.

ARE YOU ALL EARS?

Der finale Abend der MaerzMusik, die Konzert-Installation „I AM ALL EARS“, hob die Hörerfahrung auf eine neue Ebene. Das Publikum konnte die verschiedenen Performances aus unterschiedlichen Perspektiven des Bühnenraums erleben, wodurch der klassische Konzertrahmen aufgelöst und durch ein Experiment ersetzt wurde, das die Hörer:innen zu aktiven Mitgestalter:innen machte. Dennoch zeigte sich erneut, dass solche Konzepte eine sorgfältige Abstimmung aller Elemente erfordern, um das Publikum nicht zu überfordern und die intendierte Wirkung zu entfalten. In Bezug auf die neue Leitung der MaerzMusik stellt sich jedoch die Frage, ob wirklich neue kuratorische Blickwinkel zum Tragen kamen oder ob das Konzept eher an den gewohnten Berliner Szenen orientiert blieb. Dies blieb offen, eine gewisse Irritation und Reibung durch Außensichten wären hier vielleicht hilfreich gewesen. Denn genau wie der Klang profitiert auch das Denken über Klang von neuen Perspektiven, die nicht nur aus der hiesigen Szene stammen.

Ergänzend zum künstlerischen Programm setzte die „Library of MaerzMusik“ über die gesamte Festivalzeit hinweg einen konzeptuellen Akzent: Als offener Raum für Reflexion, Austausch und Begegnung bot sie nicht nur Zugang zu Partituren, Diskussionsrunden und dokumentarischem Begleitmaterial, sondern eröffnete auch ein Nachdenken über kreative und kollaborative Prozesse jenseits der Bühne, etwa die Entwicklung von Klangkonzepten, die Auseinandersetzung mit technischen Innovationen oder den Umgang mit interdisziplinären Einflüssen. Besonders die moderierten Artist Talks überzeugten durch ihre Tiefe und Zugänglichkeit: Sie erweiterten das Verständnis der gezeigten Arbeiten und brachten das Publikum auf Augenhöhe mit den künstlerischen Positionen.

Das Festival bot keine endgültigen Antworten, wohl aber viele neue Fragen – über das Hören, das Sprechen, das Atmen. Das war vielleicht die größte Stärke von MaerzMusik 2025: Raum zum Innehalten.