Zur Situation des Kölner Studios für Elektronische Musik 2001

Fundstück

Ein Beitrag für das Radio-Magazin „JetztMusik Aktuell“ in SWR 2 am 2. April 2001. Redaktion: Armin Köhler.

„Erschrecken Sie bitte nicht. Die paar Takte, die Sie eben gehört haben, wollen nur das Signal geben für unser Nachtprogramm ‚Die Klangwelt der elektronischen Musik‘. Diese paar Takte elektronischer Musik – entschuldigen Sie bitte, dass ich mich hier schon unterbreche –, sind es denn überhaupt Takte, ich meine Zählzeiten, wie sie in jeder Notenschrift festgelegt sind? Nein, ich glaube es sind keine Takte, und sie lassen sich zunächst auch nicht schriftlich fixieren. Wir werden von solchen Klängen gewissermaßen überfallen und stehen ihnen ein bisschen hilflos gegenüber, weil wir plötzlich einen Blick in das chaotische Reich ungeahnter, unbekannter Klangmöglichkeiten tun. In solchen Fällen, wo wir ein Tor aufstoßen und nicht wissen, wohin der Weg führt, empfiehlt es sich, immer Rat und Trost bei der Geschichte zu suchen.“

Mit diesen Sätzen eröffnet Herbert Eimert am 18. Oktober 1951 die WDR-Radiosendung „Die Klangwelt der elektronischen Musik“ in dem von ihm betreuten „Musikalischen Nachtprogramm“ beim damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk, dem heutigen WDR. Zehn Jahre später, 1961, bezeichnet der Komponist, Musikwissenschaftler und langjährige Rundfunkredakteur Eimert diese Sendung – ein Gespräch zwischen ihm und dem Phonetiker Werner Meyer-Eppler, dem Trautonium-Erfinder Friedrich Trautwein sowie dem Komponisten und Tonmeister Robert Beyer – als den „eigentlichen Beginn und Anfangsakzent“ des WDR-Studios für Elektronische Musik: 

„Dazu liegt umso mehr Grund vor, als an diesem Tage auf meine Initiative hin, die Gründung des Kölner Studios für Elektronische Musik beschlossen wurde, nachdem ein von dem damaligen Intendanten Hanns Hartmann einberufenes Fachgremium sich Teile dieses ,Nachtprogramms‘ angehört hatte. Es gab damals noch keine elektronische Musik, sondern nur die ersten Klangmodelle, die Werner Meyer-Eppler im Bonner Universitätsinstitut für Phonetik hergestellt hatte. Zwei Jahre später wurden dann die ersten elektronischen Stücke von Robert Beyer und mir auf dem ,Neuen Musikfest‘ 1953 im Kölner Funksaal der Öffentlichkeit vorgeführt.“ 

Ein historischer Ausflug in die frühesten Anfänge des zweifellos legendärsten und Jahrzehnte lang wichtigsten Studios für elektronische Musik, das – so wurde vor einigen Monaten spekuliert – geschlossen werden soll. Dem aber ist nicht so. Zwar muss es die bisherigen Räumlichkeiten, wo es einige Jahre untergebracht war, verlassen – dort wird derzeit schon gepackt –, doch wird es neue beziehen, wie Karl Karst1, Wellenchef vom Kulturkanal WDR 3 des Westdeutschen Rundfunks, betont:

„Zum 1. Juni [2001] spätestens ist der neue Ort bezogen. Es ist ein Ort, der zum WDR gehört, das kann ich sagen. Es gibt ein größeres Vertragswerk, das damit verbunden ist. Das beinhaltet auch die baulichen Veränderungen, die notwendig sind, um eine Abspielmöglichkeit herzustellen. Da diese Vertragssituation noch nicht abgeschlossen ist, bitte ich um Verständnis, dass ich jetzt nicht ganz präzise bin, aber es ist ein Komplex und ein Gebäude des WDR.“

Das Studio soll seinen angestammten Platz in Köln behalten und noch 2001 wieder betriebsbereit sein, auch im Bereich der Produktion. Karl Karst: „Es wird auch noch in diesem Jahr wieder seine Funktion aufnehmen. Zumindest die der Abspielbarkeit der Maschinen, der Nutzbarkeit der Maschinen, und wenn Volker Müller2 sagt, dass es auch produktionsfähig ist, dann glaube ich es. Das wird in jedem Falle in den nächsten Monaten in Angriff genommen werden, so dass wir damit rechnen können, dass das Studio nach einer bestimmten Zeit des Aufbaus vermutlich – da müsste ich mich allerdings kundig machen – bis zum Herbst wieder nutzbar sein wird.“

So gesehen kein Grund zur Beunruhigung, das Studio bleibt erhalten, die Produktion wird fortgeführt, sobald dies möglich ist und bis dahin sind die laufenden Projekte ausgelagert.

„Unsere Aufträge, unsere Kompositionsaufträge, die zum Teil ja noch in die Zeit von Herrn [Wolfgang] Becker-Carsten zurückgehen oder unseres jetzigen Redakteurs [Harry] Vogt und vor einigen Jahren schon gegeben worden sind, werden nun in externen Studios produziert. Sie werden aber alle umgesetzt. Es gibt in diesem Jahr noch und Anfang nächsten Jahres mehrere Uraufführungen von Kompositionsaufträgen des WDR. Die Arbeit und anregende Leistung des WDR wird nicht aufhören.“

Das sind klare Aussagen von WDR 3-Wellenchef Karl Karst. Der Westdeutsche Rundfunk hält an seinem Studio für Elektronische Musik fest, mit dem im Übrigen der WDR nicht nur zu einer international bedeutenden Rundfunkanstalt avancierte. Seinetwegen war Köln gerade in den 1950er/1960er Jahren ein Magnet für Komponist:innen und Künstler:innen aus aller Welt. Viele nahmen in der Dom-Stadt ihren Wohnsitz, und letztlich lässt sich Kölns bis heute imposante Galerien-Szene auch auf die einstige Impulskraft des Studios zurückführen. Deshalb ist es auch sinnvoll, das Studio nicht nur als technische Einrichtung zu begreifen, sondern auch als eine ideengeschichtliche Institution. Karl Karst:

„Das Studio für Elektronische Musik muss in zumindest drei Bereiche unterschieden werden, damit wir über die Sache auch in angemessener Weise reden können: 

1. Das Studio für Elektronische Musik ist ein großes Konglomerat von historischen Geräten, interessanten Geräten, auch schaufähig ausstellbaren Geräten. 

2. Das Studio für Elektronische Musik ist eine Geschichte, mittlerweile eine große Geschichte, eine wertvolle Geschichte.

3. Das Studio für Elektronische Musik – das sind die Ideen, das sind die Menschen, das sind die kreativen Potentiale. 

Bei den Gesprächen um die Zukunft stellte sich sehr schnell heraus – das sagten mir die Komponisten –: das Studio für Elektronische Musik sind nicht die Geräte und nicht der Raum, es sind die Menschen und die Ideen. Viertens könnte man noch hinzusetzen: es ist das Programmvolumen, also auch das Archivmaterial. Für all diese Bereiche musste es unterschiedliche Regelungen geben in einer Situation, die hervorgerufen war durch die ganz klare Ansage: In dieser Immobilie, in der sich all dies jetzt versammelt, geht es nicht mehr weiter.“ 

Diese Regelungen hat die WDR-Kulturwelle nun getroffen, teils werden sie, wie im Bereich des Programms, auch schon realisiert, wie Karst betont.

„Für den Bereich des Programms und der Geschichte ist eine Lösung, wie ich denke, in sehr guter Form gefunden. Seit dem 1. März, seit der neuen Programmstruktur WDR 3 gibt es zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt einen wöchentlichen Sendeplatz mit dem Titel ,Studio Elektronische Musik‘, der in diesem Jahr 2001 die fünfzigjährige Geschichte aufzuarbeiten versucht und auch regelmäßig aus dem Fundus schöpft, Beispiele erzählt, aus der Frühzeit berichtet. Für den Bereich der Unterbringung ist ebenfalls eine Lösung im Hause gefunden, das heißt, der Westdeutsche Rundfunk hat sich – und das muss man anerkennen – mit großer Sorgfalt bemüht, eine Regelung zu finden, die es gewährleistet, dass die weiterhin spielbar zu haltenden Geräte spielbar bleiben und dass die nicht spielbar zu haltenden Geräte so untergebracht sind, dass man sie in Zukunft auch in einem größeren Museumskontext, Ausstellungskontext einbringen kann, der aber noch gefunden werden muss. Diese Lösung im Hause ist da.“

Also doch eine Schließung des Studios, obwohl es jetzt an einem anderen Ort installiert wird und dort auch erst einmal seine Tätigkeit aufnehmen soll? Der Umzug ist demnach nur ein Zwischenschritt.

„Es ist in der Tat ein Zwischenschritt. Das Ziel ist es, ein Netzwerk zu errichten, das einen Zusammenschluss von Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen mit den Studios des Landes Nordrhein-Westfalen erlaubt – im Sinne eines ,Zentrums für akustische Kunst‘, das wäre ein Arbeitstitel, und da wir in WDR 3 ja nun einen täglichen Sendeplatz um 23:05 Uhr eingerichtet haben, der sich mit allen avancierten Formen der Radiokunst befasst, also nicht nur mit elektronischer Musik, sondern mit dem Studio Akustische Kunst, mit dem Studio Neue Musik, Pop 3, kann ich mir denken, dass dort auch ein wechselseitiger Austausch stattfinden kann zwischen den Produktionszentren in Nordrhein-Westfalen und dem Programmplatz in WDR 3. Es gibt Gespräche, es gibt auch bereits ein Konzept für einen solchen Zusammenschluss. Es gibt aber noch keine klaren Einwilligungen, es gibt auch noch keine Verträge mit dem Land. Insofern ist die Lösung, die der WDR mit recht vielem Aufwand jetzt findet, durchaus eine mehrjährige Lösung, wenngleich auch keine endgültige.“ 

Die Zukunft des WDR-Studios steht also doch noch nicht fest. Erst einmal gilt der soeben von Karl Karst benannte Zwischenschritt. Ob der vor allem im Bereich der Produktion gelingen wird, muss man abwarten. Gleichfalls gilt es abzuwarten, ob diese Phase wirklich zur Ausarbeitung des noch nicht-öffentlichen Konzepts genutzt und umgesetzt wird. Die Vernetzung der künstlerischen Medieneinrichtungen in Nordrhein-Westfalen und der Aufbau eines Zentrums sind an sich gute Ideen, und sie decken sich sogar mit gewissen Vorstellungen von Komponist:innen und Publizist:innen, die die Kölner Zeitschrift MusikTexte just in ihrer Februar-Ausgabe [2001] veröffentlicht hat. Die Redaktion hatte angesichts der vermeintlichen Studioschließung um Statements gebeten. Und diese sollten bei der künftigen Konzeptrealisation eine Rolle spielen, denn die Kapazitäten für ein musikalisch ausgerichtetes Medienzentrum gibt es an Rhein und Ruhr allemal. Ob ein solches allerdings Wirklichkeit werden wird, hängt natürlich maßgeblich von der offiziellen Landespolitik ab, die nicht immer die Zeichen der Zeit adäquat zu deuten weiß. Und inwiefern der WDR sich dort dann einbringen wird und in der Idee nicht nur einen für sich eleganten Ausweg sieht, ist noch nicht klar. Karl Karst:

„Wie sich dies genau konkretisieren wird, muss man sehen. Das Interesse des WDR ist ein sehr spezielles, nämlich eine möglichst gute und wirkungsreiche Stätte zu finden für dieses ganz wichtige, historisch wichtige Instrument ‚Studio für Elektronische Musik‘, das wir von unserer Seite auch für bespielbar halten und sehen müssen, um die Impulse der Neuen Musik fortzusetzen, die WDR 3 gegeben hat. Und ich denke, es kann nur ein Signal in die Zukunft sein, wenn sich ein Zusammenschluss ergibt zwischen all den Einrichtungen, die es gibt, auch den Hochschulen und den Nachwuchseinrichtungen, die in diesem Segment der experimentellen Klänge, sage ich jetzt mal, im weitesten Sinne arbeiten. Ich halte diesen Bereich für außerordentlich zukunftsträchtig. Ich denke, der fängt gerade erst an, spannend zu werden. Ich denke, dass Nordrhein-Westfalen mit der Perspektive, das Film- und Medienland der Bundesrepublik zu sein, sich nicht scheuen sollte, dem Soundbereich, der in der Filmindustrie ja ungeheuer nach vorne gedrängt ist und von der Produktionskapazität, zumindest von der zeitlichen Produktionskapazität her den reinen Dreh bereits überschritten hat, einen geeigneten Ort zu geben. Es wäre nicht schlecht für dieses Land, ein Zentrum für Soundentwicklung im weitesten Sinne zu haben.“

Begreift man „Sound“ nun nicht nur als eine kommerziell nutzbare Angelegenheit und ersetzt das Wort durch die sinnvollere Vokabel „Musik“, mit dem die an sich zweckfreie, weil ästhetische Konstruktion von Klängen und Strukturen gemeint ist, kann man diese Gedanken von Karl Karst, dem Wellenchef von WDR 3, nur begrüßen und ihm jene drei Punkte mit auf den Weg geben, die der Studiogründer Herbert Eimert schon in den 1950er Jahren für die Entwicklung des Studios für Elektronische Musik beim NWDR/WDR als besonders wichtig erachtet hat: „Das ist erstens die wissenschaftliche Fundierung der Arbeit, für die uns Fachleute der Klangerzeugung und Elektroakustik wie Werner Meyer-Eppler und Fritz Enkel zur Seite standen, zweitens der Verzicht auf billige Sensationen, die gar zu leicht mit diesen Klängen gemacht werden können, und drittens der bei mir von Anfang feststehende Plan, junge Komponisten heranzuziehen.“ 

1 Karl Karst (*1956) war von 1999 bis 2019 Programmchef von WDR 3.
2 Der Tonmeister Volker Müller (1942-2021) war von 1971 bis 2007 technischer Leiter des WDR-Studios für Elektronische Musik.