Das Spielzeugklavier als Konzertinstrument

Porträt

Porträt zum 80. Geburtstag der New Yorker Pianistin Margaret Leng Tan

Irritation, aber auch Faszination stellt sich ein, wenn Margaret Leng Tan für ihre Toy-Piano-Konzerte die Bühne betritt, vor ihrem Schoenhut-Spielzeugflügel auf einem gerade mal zwanzig Zentimeter hohen Höckerchen Platz nimmt und aus dem Stand mit rasender Geschwindigkeit ihr Spiel beginnt. Das Toy Piano, so wird sofort klar, fordert der Physis der Interpretin eine Menge ab. 

„Die Menschen wundern sich, dass ich auf einem Stuhl sitzen kann, der zwanzig Zentimeter hoch ist, um auf einem Spielzeugklavier zu spielen, das gerade mal vierzig Zentimeter hoch ist. Ein Erwachsener kann sich wie ein Akkordeon zusammenziehen, und ich sitze sehr bequem mit der Haltung, die ich ‚Damensattel‘ nenne, meine Beine seitlich an dem Instrument vorbei zu einem V geknickt. Für mich ist das so bequem, weil ich in Singapur aufgewachsen bin. In der asiatischen Kultur spielt sich für Kinder alles auf dem Boden ab, und deshalb ist das überhaupt kein Problem für mich. Das Publikum fragt mich immer wieder: ‚Müssen Sie sich warm machen oder vorher Yoga-Übungen machen?‘  Und ich sage immer wieder: ‚O nein, ich nehme einfach Platz, und fühle mich wohl!‘“ 

Magaret Leng Tan wurde am 12. Dezember 1945 in Singapur geboren. Ihrer asiatischen Herkunft verdankt die Pianistin nicht nur, dass sie ohne Probleme in der für Europäer:innen äußerst unbequemen Haltung vor ihrem Spielzeugklavier ausharren kann, sondern auch, dass die in Brooklyn lebende Pianistin zu den renommierten Interpret:innen avantgardistischer Klaviermusik zählt. Denn als sie im Alter von 16 Jahren als Studentin der Juilliard School nach New York kam, regte sich ihr Interesse speziell für jene zeitgenössischen Werke, die durch die asiatische Kultur beeinflusst wurden. Es war also naheliegend, dass sie bald schon auf John Cages Musik stieß

„Ich kannte John Cage elf Jahre lang, von 1981 bis zu seinem Tod 1992. Ich traf ihn 1981, weil ich an der Musik westlicher Komponisten interessiert war, deren Werke durch die asiatische Ästhetik beeinflusst wurden. So stieß ich auf John Cages Musik für präpariertes Klavier. Damit fing ich zunächst an. John Cage hörte, wie ich ‚Amores‘, ‚Bacchanale‘ und andere frühe Stücke für präpariertes Klavier spielte, und er war beeindruckt von der Art und Weise, wie ich das Klavier präparierte. Sie können ein Klavier mehr oder weniger gut präparieren. Obwohl Cage genaue Angaben für die Präparation gab, braucht der Musiker ein gewisses Urteilsvermögen, um das Instrument zu präparieren. Und man muss natürlich genau hinhören! Cage mochte die Art, wie ich das Klavier präpariere.“

Cage bezeugte seine Anerkennung für Margaret Leng Tans Interpretationen, als er sie 1982 dazu einlud, die New Yorker Festlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag durch ein Konzert mit Werken für präpariertes Klavier zu eröffnen. Seitdem ist Margaret Leng Tan als Avantgarde-Pianistin bekannt, deren besonderes Interesse vor allem jenen Werken gilt, die über die konventionellen Spieltechniken des Klaviers hinausgehen. Und so befinden sich neben Cages Stücken für präpariertes Klavier Kompositionen wie etwa Georges Crumbs „Makrokosmos“, eine Art Kompendium sämtlicher experimenteller Spieltechniken, im Repertoire der Musikerin. Dass sie auch dem Spiel auf dem Toy Piano frönt, ist natürlich auch John Cage zu verdanken, der 1948 im Anschluss an seine Beschäftigung mit dem präparierten Klavier seine „Suite for Toy Piano“ komponiert hatte:

mlt_cage_seasons_at_whitney_george-hirose_022291
Margaret Leng Tan mit John Cage im The Whitney Museum (1991). Foto: George Hirose

„Suite for Toy Piano“ als Initialzündung

„Durch die ‚Suite for Toy Piano‘ kam ich auf das Spielzeugklavier. Ich wollte das Stück für ein Gedenkkonzert auf dem Serious-Fun-Festival im Lincoln Center spielen. Ein toller Festivalname, nicht wahr? Das war ein Jahr, nachdem Cage gestorben war, also 1993. Zu dieser Zeit war es schwer, solche Instrumente zu finden. Für 45 Dollar fand ich in einem Trödelladen ein Shoenhut mit zwei Oktaven, das in sehr gutem Zustand war. Damals war es vielleicht zwanzig Jahre alt, und ich verliebte mich in den Klang. Ich konnte die ‚Suite for Toy Piano‘ sehr gut auf diesem Instrument spielen, denn die ‚Suite‘ verwendet nur eine Reihe von neun weißen Tasten. Theoretisch könnte man es auf einem Piano spielen, auf dem die schwarzen Tasten nur aufgemalt sind. Aber es ist trotzdem ein sehr anspruchsvolles Stück. Es klingt zwar sehr simpel, aber es ist sehr schwer zu spielen. Es ist zum Teil zweistimmig, beinhaltet alle möglichen Spielanweisungen für Staccato und Legato und eine große dynamische Bandbreite. Ich denke John Cage scherzte, als er die dynamische Bandbreite vom dreifachen Forte bis zum dreifachen Piano festlegte, was natürlich auf einem Spielzeugklavier eigentlich unmöglich ist. Aber wenn man es trotzdem versucht, hebt man die dynamischen Möglichkeiten oder die Illusion dynamischer Möglichkeiten auf ein neues Niveau. Er wusste natürlich, was er tat, als er diese dynamische Bandbreite forderte, denn wenn man es oft genug übt, entsteht etwas Neues daraus.“

Auch wenn John Cage ein großer Meister des hintergründigen, des philosophisch gefärbten Humors war, ist seine „Suite for Toy Piano“ keineswegs ein musikalischer Gag. Cage schrieb das Werk 1948 in direktem Anschluss an seine Arbeit mit dem präparierten Klavier für seinen Partner, den Tänzer Merce Cunningham. Das Spielzeugklavier fungiert hier als musikalisches Objet trouvé. So nimmt es jene Auffassung der Fluxus-Bewegung vorweg, durch die alle erdenklichen profanen Objekte des Alltags für die Musik fruchtbar gemacht werden können. Doch abseits dieser kunsttheoretischen Bedeutung war das Toy Piano für Cage auch ein Abkömmling seines präparierten Klaviers. 

„Es sind beides Perkussionsinstrumente. Mit den Worten Cages ist das präparierte Piano ein Schlagzeugorchester unter der Kontrolle eines einzigen Spielers. Das Spielzeugklavier ist wiederum nichts anderes als ein verstecktes Glockenspiel im Gewand eines Klaviers. Viele Leute haben mir gesagt, dass das Toy Piano wie ein Gamelan klingt, und andere haben gesagt, dass auch das präparierte Klavier sie an ein Gamelan erinnere. Also gibt es hier eine Verbindung.“

In der Tat trägt das Toy Piano seinen Namen eben nur, weil es wie ein Klavier oder ein Flügel geformt ist. Mechanismus und Klangerzeugung aber sind gänzlich anders und vor allem deutlich primitiver aufgebaut.

„Es hat einen sehr einfachen Mechanismus. Es ist nur ein kleiner Plastikhammer, der mit einer Taste verbunden ist, und dieser Plastikhammer schlägt einen Metallstab an. Der Mechanismus hat also nur drei Elemente. Einmal hatte ich Probleme mit meinem Steinway, ich nahm ihn auseinander und bekam ihn nicht mehr zusammengesetzt, also musste ich einen Techniker holen. Wenn man darüber nachdenkt, aus wie vielen Teilen der Klaviermechanismus zusammengesetzt ist, dann stellt man sich die Frage: Warum ist das Klavier so kompliziert, wenn man das gleiche Resultat nur mit drei Teilen hervorbringen kann? Vielleicht sollten wir also das Klavier vereinfachen?“

Von Cages „Suite for Toy Piano“ animiert, arbeitet Margaret Leng Tan seit Jahrzehnten schon an der Erarbeitung eines Repertoires für Spielzeugklavier. Neben Bearbeitungen von klassischen und zeitgenössischen Werken, wie etwa dem  „Modern Love Waltz“ des US-amerikanischen Minimalisten Phillip Glass, spielt die Musikerin Originalkompositionen von befreundeten Komponist:innen. Die Stücke aus ihrem Repertoire belegen, dass trotz des humoristischen Aspekts die Auseinandersetzung mit dem Toy Piano eine pianistisch anspruchsvolle Angelegenheit ist:

„Das Spielzeugklavier ist eine interessante Herausforderung, weil seine Möglichkeiten so begrenzt sind. Man muss die ganze Zeit gegen Einschränkungen arbeiten. Zuerst einmal besteht der Tonumfang aus nur drei Oktaven. Die Komponisten, die für mich schreiben, bekommen genaue Anweisungen, die Grenzen des Instrumentes nicht zu überschreiten. Aber dort, wo sie keine Begrenzungen vermuten, wird es unheimlich schwer. Und das ist dann schließlich mein Problem. Ich bin immer wieder überrascht, wie schwierig die Komponisten ihre Stücke anlegen. Beispielsweise Julia Wolfes Stück ‚East Broadway‘ für Toy Piano und einen 

Spielzeug-Schlagzeugcomputer ist wirklich das schwerste Stück, dem ich je begegnet bin. Sie hat es sehr virtuos und schnell angelegt. Sie fordert sechs Anschläge innerhalb einer Metronomzahl von 148. Sogar auf einem richtigen Klavier ist das schwer. Es hat viel Arbeit gekostet, das einzuüben, aber zuletzt konnte ich es spielen. Und dann noch dieser Kinderschlagzeugcomputer! Das ist also dann mein Problem, und indem mich die Komponisten auf diese Weise fordern, habe ich entdeckt, dass man mehr schaffen kann, als man sich vorstellt. Durch meine Arbeit ist das Toy Piano zu einem echten Instrument geworden. Es ist nicht mehr länger nur ein Spielzeug.“

Das Spielzeugklavier

In der heutigen Form wurde das Schoenhut-Spielzeugklavier 1872 in Amerika von einem Deutschen Emigranten aus Göppingen entwickelt. Albert Schoenhut, Spross einer deutschen Spielzeugmacher-Familie, arbeitete nach seiner Übersiedlung nach Amerika in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts im Kaufhaus Wanamaker, wo er die zur damaligen Zeit noch gebräuchlichen Glasplatten fertigte, die damals als Klangerzeuger in Spielzeugklavieren verwendet wurden. Da die Glasplättchen nicht für den ungestümen Gebrauch von Kinderhänden geeignet waren, ersetzte Schoenhut die gläsernen Klangerzeuger durch Metallplättchen. Später dann wurden aus diesen dem Glockenspiel vergleichbaren Metallplatten schmale, fest fixierte Metallzungen.

Schoenhut eröffnete 1872 sein eigenes Geschäft. Die Shoenhut Company existierte als Familienbetrieb bis 1984, wurde dann kurzzeitig geschlossen und schließlich von der italienischen Unternehmerfamilie Trinca aufgekauft, die heute wieder Spielzeugklaviere mit dem Namen Schoenhut vertreibt. Die Historie des Toy Pianos belegt, dass die Schoenhut-Instrumente nie ausschließlich als Spielzeuge, sondern immer auch als Instrumente der Musikerziehung gedacht waren.

„Es ist ein Übungsinstrument. Das war Albert Scheonhuts ursprünglicher Gedanke. Er wollte ein Spielzeug machen, auf dem Kinder vorab das Klavierspiel erlernen können, um dann ohne größere Schwierigkeiten zum richtigen Instrument wechseln zu können. Und darum ist die Breite der Tasten auf dem Spielzeugklavier nahezu identisch mit den Tasten auf dem richtigen Klavier. Die Schoenhut-Klaviere wurden übrigens mit kleinen Übungsbüchern ausgeliefert, in denen Kinderlieder der Zeit gedruckt waren. 

Ich finde faszinierend, dass das Spielzeugklavier heute in China wieder als Übungsinstrument benutzt wird.  Dort werden Klassen mit Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren auf Spielzeugklavieren unterrichtet. Sie müssen wissen, dass in China ein echtes Klavier unerschwinglich ist, weil es dort ein ganzes Jahresgehalt eines Arbeiters kosten würde. Ich denke, dass sich Albert Schoenhut darüber sehr freuen würde.“

Nach einer Absatzflaute in den 1980er-Jahren erfreut sich das Toy Piano derzeit wieder großer Beliebtheit. Also produzieren selbstverständlich auch andere Hersteller heute wieder Spielzeugklaviere. Margaret Leng Tan aber schwört auf die Instrumente der Firma Schoenhut, die die „Steinways der Spielzeuginstrumente“ seien. Ohne die Firma Schoenhut, so betont die Künstlerin, gäbe es Ihre Karriere als Spielzeugpianistin nicht, fertigte ihr doch Shoenhut Anfang der 1990er-Jahre auf Anfrage einen kleinen Spielzeugflügel mit kleinen Extras und drei Oktaven Umfang. Daneben spielt sie in ihren Konzerten ein zweites Instrument, ein ebenfalls dreioktaviges Schoenhut-Klavier, das ihr von Bekannten überlassen wurde. Weil die Tastaturen ihrer Instrumente im Vergleich zu einer richtigen Klaviatur für Erwachsenenhände dann doch recht klein sind, wurden die meisten ihrer Originalkompositionen für zwei Klaviere eingerichtet:

„Ich spiele zwei Instrumente, weil ich dadurch mehr Spielraum habe. Beide Instrumente haben den gleichen Umfang, aber so kommen sich die Hände weniger in die Quere. Der zweite Grund dafür: Kein Instrument klingt wie das andere. Tatsächlich gibt es mehr Unterschiede des Timbres zischen zwei Schoenhuts als zwischen zwei Steinways. Die beiden Dreioktaven-Instrumente haben beide einen sehr eigenen Charakter. Das Klavier ist wärmer und reicher im Klang, der Flügel ist heller und transparenter. Wenn ich beide kombiniere und das Klavier für den Bass nutze – oder besser: für die Illusion eines Basses, denn in Wirklichkeit hat dieses Instrument keinen Bass –, dann bekomme ich eine interessante Variabilität des Klanges und es erlaubt mir, Stücke zu spielen, die ich für Toy Piano umgeschrieben habe.“

Das Spiel mit und auf dem Toy Piano ist ein Spiel gegen Begrenzungen sowohl technischer als auch klanglicher Art. Der metallene, perkussive Klang des Instrumentes schmeichelt zwar sofort dem Ohr, über längere Zeit aber wirkt er ermüdend. Ein Manko, dem Margaret Leng Tan auf ihren Konzerten entgegenarbeitet:

„Ich denke, der Klang des Spielzeugklaviers ist sehr angenehm. Aber möchten sie dem zwei Stunden lang zuhören müssen? Ich denke nicht! Ich bekäme Kopfschmerzen. Darum dachte ich, dass es eine gute Idee ist, meine Komponistenfreunde um Stücke für Toy Piano und andere Spielzeuginstrumente oder auch großes Klavier zu bitten. Es funktioniert besser und es macht mehr Spaß, wenn das Publikum sieht, wie ich viele verschiedene Instrumente spiele. Spielzeuginstrumente sind bunt und sie geben den Konzerten eine visuelle Note, die das Ganze in Richtung Performance verwandelt.“

In der Tat gehen Stücke wie Guy Klucevseks „Sweet Chinoiserie“ über das herkömmliche Instrumentenspiel weit hinaus. Klucevsek, der in New York als Akkordeonvirtuose u.a. mit Komponist:inen wie John Zorn und Laurie Anderson zusammenarbeitet, fordert für sein Stück neben dem Toy Piano das Spiel auf Thunfischdosen, Geschirr und selbstverständlich auf einem Spielzeug-Akkordeon. Die Grenze zum Schauspielerischen überschreitet Margaret Leng Tan endgültig, wenn Raphael Mostels „Star-Spangled Etude #3 (‚Furling Banner‘)“ auf dem Programm steht. Mostel, der sich eigentlich mit rituell inspirierter Vokalmusik beschäftigt, fordert für sein Stück Toy Piano, Spielzeugsirene, Polizeipfeife und Spielzeugpistole. Im Laufe der Zeit mutierte das nicht einmal anderthalb Minuten lange Stück in den Aufführungen von Margaret Leng Tan zu einer Parodie der Freiheitsstatue: 

„Als Raphael Mostel die „Star-Spangled Etude #3“ schrieb, ahnte er nicht, wie sich im Laufe der Zeit die visuelle Präsentation des Stückes entwickeln würde. Ich habe es in eine Parodie der Freiheitsstatue verwandelt, weil ich im Laufe der Zeit immer mehr Requisiten gefunden habe. Ich fand zum Beispiel eine kleine Schaumstoffkrone der Freiheitsstatue, die auf der Überfahrt dorthin verkauft wird. Ich fand diese Spielzeugsirene in einem schönen Holzkästchen, das ich zum Ende des Stückes so halte, als ob es das Buch der Freiheitsstatue ist, und so entwickle ich im Verlauf des Stückes das Bild der Freiheitsstatue.“

curios-kong-chong-yew
Curios. Foto: Kong Chong Yew

Zwischen zeitgenössischer Musik und Humor

Durch das Spiel mit schrillen Spielzeuginstrumenten und Performance-Einlagen vollzieht Margaret Leng Tan einen gelungenen Spagat zwischen zeitgenössischer Musik und Humor. Auch wenn ihr virtuoses Spiel auf den von Natur aus unzulänglichen Spielzeuginstrumenten ein enormes Maß an Konzentration und Ernsthaftigkeit erfordert, ist ein Lachen im Publikum für die amerikanische Pianistin doch immer ein Kompliment:

„Humor ist definitiv ein Faktor meiner Aufführungen. Denken sie nur an einen Erwachsenen, der zwei Stunden lang auf ein Spielzeugklavier einschlägt! Für mich ist das Spielzeugklavier ein wunderschönes humoristisches Mittel. Ich wollte immer Komödiantin sein. Das Spielzeugklavier gibt mir die Möglichkeit dazu, und die Leute mögen auch meine Kommentare zwischen den Stücken. Für mich ist es wichtig, dass das Publikum sich gehen lassen kann und lachen darf. Konzerte sind meist eine ernste Angelegenheit, hier aber können sie lachen und gleichzeitig avantgardistische Musik genießen. Also ist das Spielzeugklavier auch ein hervorragendes Instrument, um avantgardistische Musik einem Publikum nahezubringen, das sonst nicht zu solchen Konzerten gehen würde.“

Mit ihren kuriosen Toy-Piano-Konzerten erreicht die Pianistin meist nicht das eingefleischte Publikum Neuer Musik, sondern zu einem großen Teil Eltern mit Kindern. Dem trägt sie dadurch Rechnung, dass sie ein gemischtes Programm aus Zeitgenössischem, Pop und klassischen Bearbeitungen spielt. Dass Bearbeitungen älterer Stücke, etwa die der „Gymnopédie Nr. 3“ von Erik Satie, den Humor des ein oder andern Musikliebhabers überstrapazieren könnten, nimmt die Musikerin dabei billigend in Kauf:

„Bearbeitungen von Beethoven oder Satie zu machen, ist ein gewagter Schritt. Um das zu machen, sollte man davon überzeugt sein, dass es funktioniert. Man sollte sich bewusst machen, dass man kritisiert wird, wenn es nicht gut funktioniert, und Puristen dann sagen: Was für ein Sakrileg, wie kann man überhaupt nur darüber nachdenken, so etwas zu machen? Aber ich mache diese Arrangements mit dem größten Respekt für das Original, und wegen der Verwandlung, die ich leiste, wenn ich diese Stücke spiele, bekomme ich keine Probleme mit dem Publikum. In Zusammenhang mit der Bearbeitung von Erik Satie mache ich häufig den Scherz: Was gut klingt, klingt auf dem Spielzeugklavier noch besser. Das ist natürlich eine unverschämte Äußerung, mit der ich mich herausrede, doch die Leute finden tatsächlich, dass es gut klingt.“

Humor und Respekt gehen für Margaret Leng auch bei der Bearbeitung von Beethovens Klaviersonate C-Dur Op. 2, Nr. 3 Hand in Hand. Allerdings versteht sie ihre Transkription vor allem als eine Hommage an den kleinen Peanuts-Pianisten Schroeder. In ihren Konzerten spielt Margeret Leng Tan die Beethoven-Bearbeitung als Begleitmusik zum Peanuts-Film „Play It Again, Charly Brown.“ Ein Unternehmen, das sie augenzwinkernd als Bemühung begreift, eine dem Film entsprechende Interpretation zu präsentieren.

„Ja, ich spiele einen Teil des ersten Satzes aus Beethovens Op. 2 Nr. 3 als Begleitung zu einem Film mit Schroeder. Schroeder spielt ein Spielzeugklavier. Die Filmmusik ist jedoch auf einem richtigen Klavier gespielt. Ich dachte mir, dass es authentischer ist, ihn auf einem Spielzeugklavier spielen zu lassen, weil er eben genau das im Film spielt. Aber eine weitere wichtige Sache ist die: Das Spielzeugklavier ist tatsächlich dem Klang des Fortepianos der Beethoven-Zeit näher als dem volltönenden Klang des modernen Flügels. Also ist es gar nicht so verrückt oder respektlos, Beethoven auf einem Toy Piano zu spielen. Ich denke, wenn man davon überzeugt ist und ernsthaft den Versuch einer seriösen Bearbeitung macht, funktioniert das. Jedenfalls erfreut es das Publikum.“

Margaret Lang Tan deklariert ihre Toy-Piano-Konzerte des Öfteren als „Hommage an Schroeder“, denn Schroeder und die anderen Freunde Charly Browns, jenes Jungen mit dem melancholischen Einschlag, sind heute ein kollektives Gut der Pop-Kultur. Die Musikerin ist von diesen Kinderfiguren aus der Feder des 2000 verstorbenen Comic Zeichners Charles M. Schulz fasziniert, weil sie Exponent:innen eines hintergründigen, bisweilen existenzialistischen Humors sind, der die tragischen Aspekte der Conditio humana durch Humor bannt. 

„Ich liebe die Peanuts-Cartoons, diese Kinderfiguren, die nie erwachsen werden. Es steckt eine tiefe Philosophie für mich dahinter, die Parallelen zum Toy Piano aufweist. Wie die Peanuts Kinder sind, so ist das Toy Piano ein Spielzeuginstrument. Das Toy Piano ist sehr einfach, aber mit dessen Hilfe kann man mit dem Publikum durchaus tiefgründig kommunizieren. Neben der Musik kann man es durchaus als sehr wirksames politisches oder soziales Werkzeug benutzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als ich das Toy Piano im Frühjahr ‘99 spielte, zu der Zeit, als die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert wurde, nutzte ich die „Star-Spangled Etude“ von Raphael Mostel als ein Proteststück. Ich hatte chinesische Kleidung an und ich sagte dem Publikum, dass ich das Stück nun als Proteststück spielen werde. Und ich denke, dass ich in meinem Kostüm als Freiheitsstatue mit meiner Spielzeugpistole in der Hand politisch Stellung bezogen habe. Ich kann das Instrument also durchaus in einen politischen Kontext rücken, auch wenn der Komponist das eigentlich nicht beabsichtigt hat. Oder wenn ich das Stück von Julia Wolfe spiele, in dem es diesen Spielzeug-Schlagzeugcomputer gibt. Ich zeige den Leuten das Spielzeug, drücke alle Knöpfe und demonstriere dem Publikum die Möglichkeiten des Spielzeugs, das man ja in Chinatown für gerade mal vier Dollar kaufen kann. Dann sage ich dem Publikum: ‚Made in China‘, und alle lachen und finden das komisch. Dann aber wende ich das Blatt und sage: ‚Ja, aber es ist durch die Sklavenarbeit von Kindern gemacht!  Wer immer diese Spielzeuge dort produziert, bekommt kaum Lohn für seine Arbeit, sonst könnte es nicht für nur vier Dollar mit der entsprechenden Gewinnspanne verkauft werden.‘ Ich benutze also diese Spielzeuge für meine Aufführungen, aber gebe auch kritische Anmerkungen dazu, um damit auch die Bedingungen meiner Arbeit zu hinterfragen. Denn alle Spielzeuge, die ich benutze, kommen aus China. Man hat gar keine andere Wahl, weil alle Spielzeuge dort gemacht werden. Also nutze ich meine Konzerte auch, um auf die dortigen Arbeitsbedingungen hinzuweisen.“

Überarbeitetes Manuskript für DeutschlandRadio Berlin/Werkstatt

Logo
Sie schätzen Musikjournalismus?

Unser Angebot ist kostenfrei. Warum? Weil wir der Meinung sind, dass Qualitätsjournalismus für alle verfügbar sein sollte. Mit dieser Einstellung sind wir nicht alleine: viele Leser:innen schätzen unser Engagement. Mit Ihrer Unterstützung können wir weitermachen. Nutzen Sie jetzt unser Spendenabo (schon ab 6 Euro) oder werden Sie Fördermitglied – und damit Teil unserer Community!