yasunao tone

Nachruf

(31.03.1935 – 12.05.2025)

einmal gingen tone und ich zum essen in ein indisches restaurant in der nähe seiner wohnung am east broadway. wir waren die einzigen gäste, und kaum hatten wir platz genommen, begann der cd-player, der das restaurant mit indischer musik beschallte, zu stottern. der kellner kam zu uns gelaufen, um sich dafür zu entschuldigen, aber er konnte nicht verstehen, dass wir beide vergnügt lachten: „vielen dank, dass sie tones musik spielen!“ 

1997 erschien auf john zorns label tzadik tones wohl bekannteste veröffentlichung „solo for wounded CD“ als frucht seiner mitte der 80er jahre begonnenen forschungen an der präparation von compact discs. mithilfe von tesabandschnipseln, die auf die unterseite einer CD geklebt und mit einer nadel perforiert wurden, hebelte er die fehlerkorrektur des abspielgerätes aus und verwandelte die wiedergabe einer CD von debussys préludes in eine kakophonische symphonie aus rohen glitch-klängen, die die digitale natur des gerade erst (1982) eingeführten mediums schonungslos offenbarte.

besucher:innen des ersten konzerts der frisch gegründeten kölner konzertserie „reihe m“ werden sich noch erinnern, wie im januar 2009 zu fortgeschrittener stunde zwei polizisten die ehemalige galerie haferkamp betraten, weil ein nachbar sich über lärm beklagt hatte. auf der suche nach dem veranstalter machten sie sich auf den weg durch das zahlreiche im langgestreckten raum versammelte und andächtig den aggressiven geräuschen lauschende publikum, um vorne auf der bühne einen älteren herren vorzufinden. dieser, hinter einem turm von CD-playern sitzend, lächelte sie zwar freundlich an, verstand aber kein wort ihrer ansprache und fuhr unbeirrt mit seiner tätigkeit fort. man erklärte ihnen, dass der lärm, der sie auf den plan gerufen hatte, das werk eines berühmten japanischen künstlers aus new york wäre, eben jenes älteren herren, und einigte sich schließlich darauf, das konzert ungestört zu ende gehen zu lassen, da ohnehin nur noch wenige minuten spielzeit verblieben. die polizisten verglichen die musik mit baulärm, gegen den sie ja auch machtlos wären.

seine art, mit neuen medien umzugehen, fasste tone in einem interview mit christian marclay einmal so zusammen: „um mit intelligenten maschinen zu kämpfen, muss man sehr primitiv sein“.

dieser haltung blieb er zeitlebens treu und veröffentlichte 2017 eine reihe von werken („AI deviation #1, #2“), in denen er gegen mit neuronalen netzen erzeugte klone seiner eigenen musik anspielte.

bereits eines seiner frühesten stücke, „number“ von 1961, arbeitete mit derart medienspezifischen und -kritischen verfahren: indem er seine stimme beim zählen mit geringer lautstärke auf ein tonbandgerät aufnahm und die lautstärke bei jeder weiteren überspielgeneration erhöhte, erhöhte sich auch schrittweise der geräuschanteil, wodurch das tonband am ende nur noch verzerrtes rauschen enthielt. (alvin luciers „i am sitting in a room“, das ähnliche verfahren anwendet, entstand 1969).

1935 geboren, gehörte tone zu jener generation, die bei kriegsende die stimme ihres kaisers zum ersten mal hörten, als dieser übers radio die kapitulation japans verkündete. eine beinahe surreale erfahrung, „da das altertümliche hofjapanisch für normale bürger:innen unverständlich war“, wie er mir einmal berichtete.

während er seine studien in japanischer literatur mit einer diplomarbeit über dada und surrealismus abschloss, begann er mit mit einer gruppe anderer studierender an experimenteller musik zu arbeiten. sein erstes instrument war dabei das saxophon, sein autodidaktischer ansatz war folgender: „ich habe mich bemüht, ohne dominante melodische linien zu spielen“, sagte er, „es war also sowohl extrem schnell als auch klanglich vielfältig, mit zwanzig bis dreißig verschiedenen geräuschen pro sekunde.“

aus der studentischen zusammenarbeit entstand 1958 die „group ongaku“, der unter anderem auch takehisa kosugi und mieko chiomi angehörten. von da an führte ein direkter weg zu fluxus (maciunas veröffentlichte 1963 die minimalistische partitur für tones komposition „anagram for strings“). 

ein sechsmonatiger aufenthalt in san francisco veranlasste tone, dauerhaft in die usa zu ziehen. 1972 ließ er sich in new york nieder, wo er sich schnell mit den größen der experimentellen kunst in der stadt anfreundete und mit ihnen zusammenarbeitete, darunter john cage, merce cunningham und george maciunas.

diese neugierde auf experimentelle radikalität hat ihn zeitlebens geprägt und angespornt.

„weg mit allen religionen, möge die vernunft siegen!“, antwortete er mir einmal auf eine e-mail, in der ich ihm zu weihnachten frohe festtage wünschte.

„ich glaube, die leute werden überrascht sein, dass ihre landläufigen vorstellungen von asiatischer musik völlig zerstört werden, wenn sie seine musik hören oder seine partituren lesen“, sagte yoko ono 2013 in einem interview mit dem wall street journal. „er ist kein mensch aus asien. er ist ein marsmensch.“

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tone in phill niblocks küche in new york, 2007v.l.: phill niblock, yumi kori, yasunao tone, bettina wenzel, dan evans farkas © hans w. koch