Zum ersten Mal in Kanada
Hervorgeholt„World Music Days“ in Toronto und in Montreal
Die Weltmusiktage der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, der IGNM, die jedes Jahr in einem anderen Land stattfinden, sind ein Element, das äußerlich auffälligste Element, im Zusammenhang einer weitmaschigen Netz- und Zeitstruktur der IGNM, ohne die sie nicht einmal denkbar und schon gar nicht realisierbar wären. Die Gesamtheit der verschiedenartigen Elemente ist dabei aufgrund der Internationalität, der Größenordnung des eigentlichen Festivals und der ganz unterschiedlich präsenten partikularen Interessen außerordentlich komplex, so sehr, daß man fast von jedem einzelnen, vielleicht einmal abgesehen von der materiellen Basis, die ihrerseits selbst wiederum außerordentlich kompliziert ist, hersagen kann, daß es relativ unwichtig erscheint. Das läßt sich zum Beispiel von fast jedem der 28 Konzerte oder der 143 Stücke der diesjährigen 13-tägigen Weltmusiktage in Toronto und Montreal ebenso sagen wie von fast allen Elementen der IGNM, die sie ermöglicht, vor allem von fast jedem ihrer Mitglieder und nahezu von allen übrigen Organen, dem Präsidialrat, dem Exekutivkomitee, dem Beraterstab, ja vielleicht sogar vom Präsidenten der Gesellschaft, der im Jargon der Beteiligten liebevoll „Weltmusikpräsident“ genannt wird, selbst. Der Gesamtzusammenhang, eine Art System, das mit Hilfe einer Fülle von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln zusammen und in Bewegung gehalten wird, läßt sich von sehr verschiedenen Seiten her darstellen, von der Vereinsstruktur her, von der Seite der öffentlichen Veranstaltung her oder auch von der geschichtlichen Entwicklung seit 1922, seit der Gründung dieser Einrichtung her.
Sie läßt sich ebenso von der kompositorischen, von der interpretatorischen und schließlich von der rezeptionellen Seite her, und zwar von jedem beteiligten Land her wieder anders beschreiben. Wie immer man nun vorgeht, immer wird dabei ein komplexer Zusammenhang sichtbar, dessen Motor, dessen beständige Kraft die Selbsterhaltung des Gesamtzusammenhangs und dessen Grundverhalten eine gewisse Harmonisierung ist, ganz wie in anderen natürlichen und mehr oder weniger künstlichen Systemen wie Familien, Vereinen, Parteien und Institutionen auch, eine Harmonisierungstendenz, die natürlich keineswegs mit Ausgleich der Interessen oder Problemlösung unmittelbar gleichzusetzen ist.
Schaut man sich die materielle Basis der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik an, so ist sie außerordentlich schmal. Gut dreißig nationale Mitgliedergesellschaften zahlen je 900 Deutsche Mark im Jahr, also harte Währung – soweit sie das können – in die Gemeinschaftskasse, ein Aufkommen von etwa jährlich 30 000 Mark alles in allem. Die Weltmusiktage selbst, der Hauptorganisationszweck der Gesellschaft, sind in aller Regel allein mindestens zehnmal mehr wert. Sie werden von dem Land finanziert, in dem sie ausgetragen werden. Aber auch für die notwendigen Ausgaben zwischen zwei Weltmusiktagen reicht das eigene Aufkommen der Gesellschaft kaum aus. Wesentliche Reisekosten der Präsidiumsmitglieder und des Exekutivkomitees werden zur Zeit von staatlichen Repräsentationsfonds der Länder bezahlt, aus denen die Beteiligten stammen, oder vom Rundfunk, von einem Verlag, von einer Stadt. Auch die Veröffentlichung der Gesellschaft, ein Bulletin, und deren Versand an die Mitglieder wird aus einer Spende aus einer öffentlichen Hand finanziert. Die latente materielle Armut der IGNM-Organisation erscheint bei näherer Betrachtung geradezu notwendig zu sein. Denn eine wesentliche Erhöhung der Mitgliedsgebühren würde zwangsläufig dazu führen, daß eine sehr viel größere Zahl an relativ mittellosen nationalen Gesellschaften der neuen Musik in Lateinamerika und Osteuropa ihre Beiträge nicht mehr bezahlen könnte, wie heute schon Uruguay und Venezuela. Die Beitragszahlung selbst ist aber nur der kleinste Teil der Unkosten, die auf die eine oder andere Weise zu den Ausgaben der Mitgliedsländer gehören. Sehr viel teurer kann es da zum Beispiel schon sein, einen oder gar mehrere Delegierte zur Mitgliederversammlung während der Weltmusiktage zu schicken, um die Rechte eines Mitgliedslands überhaupt erst wahrnehmen zu können. Noch kostspieliger ist es schließlich, vor allem für den einzelnen und die institutionellen Ressourcen, mit denen er verbunden ist, wenn er sich zum Mitglied des Präsidiums wählen läßt, vor allem dann, wenn sein Wohnsitz in Asien, Australien, Lateinamerika oder in einem der drei Ostblockländer liegt, die derzeit Mitglied der IGNM sind. In diesen und einigen anderen Ländern bedarf es zusätzlich der Rückendeckung der Visabehörden und der raren Valutazuteilungen.
Das bei weitem aufwendigste aber sind schließlich die Weltmusiktage selbst. Sie kann sich nur ein reiches Land leisten und selbst das nur unter besonderen Umständen. So ist es ganz und gar kein Wunder, daß in den mehr als sechzig Jahren der Existenz von IGNM-Festivals und Weltmusiktagen bisher nur vier außerhalb Europas angesiedelt waren, in Haifa, in Boston, in Tel Aviv und nun in Toronto und Montreal, und nur drei in osteuropäischen Ländern – Ungarn wird, wenn nichts dazwischenkommt, 1986 zum ersten Mal in Budapest Weltmusiktage ermöglichen. Es hat aber noch nie Weltmusikfestivals in irgendeinem asiatischen Land gegeben, nicht einmal im hochindustrialisierten Japan, und noch nie in Lateinamerika oder sonst irgendwo auf der südlichen Hemisphäre. Und in der afrikanischen und in der arabischen Welt gibt es bis heute nicht einmal einfache Mitgliedsorganisationen.
Wer nun aber aus diesem Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd, Reich und Arm, industrialisierten und weniger industrialisierten Ländern schließen würde, daß Mittel- oder auch nur Westeuropa in der IGNM hervorragend organisiert sei, beginge wiederum einen Irrtum. Jedes Land ist vollkommen frei in der Wahl der Organisationsform bzw. in der Beauftragung einer bestehenden Institution. Was in den skandinavischen Ländern und in der Bundesrepublik ein Mitgliederverein ist, ist schon in den Niederlanden ein elitäres Board, mit zwei Funktionssitzen aus dem Komponistenverband, der sich selbst durch Zuwahl ergänzt, und in England eine staatliche Kulturinstitution. Geradezu grotesk sind gegenwärtig Italien und die USA in der IGNM organisiert, beide durch je ein winziges exklusives Grüppchen, das in Italien um ein Verlagshaus und einen mit diesem eng verbundenen Komponisten gebildet ist, und in den USA um einen Club von 35 konservativen Uptown-Komponisten in Manhattan – kein experimenteller oder minimalistischer oder sonst ein Downtown-Komponist in New York, noch irgendein noch so konservativer Kollege aus Kalifornien oder aus dem Midwest oder Süden hätte da je eine Chance, Mitglied zu werden.
Auch nach sechzig Jahren gibt es immer wieder erste Weltmusiktage in einem neuen Land, das sich zuvor kein Weltmusikfest leisten oder organisieren konnte: 1967 war das die Tschechoslowakei, 1973 Island, 1976 die USA, 1978 Finnland und 1980 Griechenland. Und auch die kanadischen „World Music Days“ in Toronto und die „Journees Mondiales de Ia Musique“ in Montreal waren die ersten in Kanada überhaupt. Einer angelsächsisch-amerikanischen Verhaltensweise entsprechend, die auch in Anglo-Kanada weit verbreitet ist, hätten die Veranstalter nach Ankunft der Beteiligten aus aller Herren Länder sich zunächst vergewissern sollen, ob das Wohlbefinden der Gäste auch gut, auch gut genug ist, um anschließend dann allmählich mit den wohl geplanten und voraussehbaren Strapazen des Festivals aufzuwarten. Verglichen mit den Weltmusiktagen der letzten Jahre in Aarhus, Graz, Brüssel, Israel, Athen, Helsinki und Bonn waren die kanadischen länger, stückereicher, ideenärmer, einseitiger ausgewählt, in Komposition und Interpretation anspruchsloser und zugleich teurer. Ein argentinischer Komponist sagte mir, daß die Kombination von viel Geld mit wenig Tradition die schlechteste aller Möglichkeiten ist, wenngleich sie für die Ermöglichung von Weltmusiktagen sicher immer noch besser ist als alle Kombinationen, die den Faktor Fast-gar-kein-Geld enthalten. Pessimisten zumal in solchen Mitgliedsländern, von denen kein einziges Werk zur Aufführung kam – diesmal waren das mehr als je zuvor –, könnten von einem Niedergang, einem Trend, dem allmählichen Absterben des Versuchs sprechen, ein internationales Forum durch einen mehr oder weniger demokratischen Prozeß des Zusammenarbeitens vieler Länder zu organisieren. Doch das hieße, ein Element der komplexen IGNM weit überzubewerten und aus dem Kontext herauszulösen, in dem alle Elemente eingebettet sind, zum Beispiel auch die besser gelungenen Weltmusiktage der letzten Jahre. Aufschlußreicher ist sicher die Hypothese, daß sich in den Weltmusiktagen, wo immer sie auch ausgetragen werden, die Kräfte, Verhaltensweisen, Organisationsformen, Wertmaßstäbe und Interessen des Veranstalterlandes mehr widerspiegeln als irgendwelche anderen Aspekte. Das ergibt sich schon aus der doppelt angelegten Entscheidungsstruktur für das Programm. Letztlich ausschlaggebend ist dabei allein das Organisationskomitee, das die gastgebende Sektion bildet. Einen gewissen Objektivierungseffekt erzielt dabei die Einsetzung einer internationalen Jury; allerdings ist schon deren Zusammensetzung wie die des Organisationskomitees selbst zumeist außerordentlich charakteristisch für den Veranstalter. Das in einen französisch- und einen englischsprachigen Landesteil gegliederte Kanada mußte zudem auf einen ausgewogenen Proporz zwischen beiden kanadischen Kulturen bedacht sein. Für die normalerweise fünf- bis sechsköpfige Jury bedeutet das, daß je ein Franko- und ein Anglo-Kanadier einen Juryplatz benötigte. Natürlich sorgte die frankokanadische Seite für die Hinzuziehung eines französischen und die anglo-kanadische Seite für die Einsetzung eines angelsächsischen Komponisten, um Reisekosten zu sparen: eines US-Amerikaners. Hinzu kamen schließlich je ein Komponist aus Lateinamerika und aus Asien, aus Brasilien und aus Japan. Der Jury wurden nun von den nationalen Sektionen 153 Partituren und Tonbänder und noch einmal von Verlegern und Komponisten 230 Partituren und Tonbänder direkt eingesandt.
Man muß nun der Jury selbst überhaupt keine irgendwie einseitigen Absichten unterstellen, wenn man das Juryergebnis mit ihr selbst in einen Zusammenhang bringt. Daß je sieben Werke aus den USA und aus Großbritannien und noch einmal drei aus Australien und eines aus Anglo-Kanada, zusammen 18 angelsächsische Stücke, und daß fünf Stücke aus Frankreich und zwei aus Franko-Kanada ausgewählt worden sind, ist also eine Folge des in Kanada allgegenwärtigen Proporzdenkens. Auch die Auswahl von fünf japanischen und zwei südkoreanischen Stücken kann mit der Jury zusammengebracht werden, aber offenbar auch mit dem besonderen Interesse Kanadas an Japan und Korea. Auffälligerweise ist nur ein einziges lateinamerikanisches Stück ausgewählt worden. Allerdings war von Anfang an ein Gastspiel eines brasilianischen Ensembles vorgesehen, das in letzter Minute scheiterte und kurzfristig durch ein argentinisches Ensemble ersetzt worden war und Werke aus mehreren lateinamerikanischen Ländern zur Aufführung brachte. Auffällig war bei all diesen durch die Jury und durch die Landesstruktur mehr oder weniger vorgegebenen Schwerpunkten ein außerordentlich hoher Anteil an skandinavischen Stücken, zusammen neun, wobei allein drei aus dem randständigen Finnland stammten. Es ist wohl so, daß Kanada zumal mit seinen nördlichen Landesteilen auf dem amerikanischen Kontinent eine Art skandinavische Rolle und Identität entwickelt, die gerade an der mehr asiatisch geprägten finnischen Kultur ein besonderes Interesse findet. Das zeigte sich nicht zuletzt an den Phantasiewelten einiger Stücke kanadischer Komponisten, wie an dem Musiktheaterstück „Transit“ von Micheline Coulombe Saint-Marcoux und an dem Ensemblestück mit dem finnischen Titel „Pohjatuuli“, zu deutsch: Nordwind, von Michel Longtin. Außerordentlich unterrepräsentiert blieben dagegen die mittel-, ost-und südeuropäischen Länder, aus denen je ein oder zumeist gar kein Stück ausgewählt worden ist; auch die Programmergänzungen, die dann das Organisationskomitee noch vorgenommen hat, bestärkten eher die Grundlinie, die durch die Zusammensetzung der Jury und durch deren Auswahl vorgegeben war. Am meisten entzündete sich bei den nichtkanadischen Musikern, Kritikern und sogar bei vielen der sonst eher auf Zurückhaltung bedachten offiziellen Länderdelegierten die Kritik daran, daß von den 143 schließlich aufgeführten Stücken – schon die Zahl übersteigt das bisher Gewohnte und das im Laufe von knapp zwei Wochen Rezipierbare wesentlich – über fünfzig Stücke aus Kanada selbst stammten. Besonders enttäuscht schienen die Schweden zu sein, die die stärkste Ländergruppe gestellt hatten und deren offizielle Delegation vorzeitig abgereist ist, nicht ohne in einem Brief an die hinterbliebene IGNM-Versammlung herbe Kritik zu üben.
Wenn auch die Darstellung der Musik des Gastlandes bei den Weltmusiktagen in Toronto und Montreal über das bisher übliche Maß etwas hinausgewachsen ist, so folgte Kanada dabei doch einem Bedürfnis vieler musikinteressierter Besucher, die zum ersten Mal das Land besuchten, und folgten einem Usus, dem auch andere Länder zuvor gefolgt waren, vor allem wenn sie die Weltmusiktage überhaupt zum ersten Mal in ihrem Land beherbergt haben. Ungewöhnlich war diesmal allenfalls die große Zahl von landeseigenen Stücken von nicht allzu hoher Qualität in Komposition und Ausführung. Nach einem sicher von allerlei Zufällen abhängigen persönlichen Informationsstand über kanadische neue Musik vermißte ich vielmehr eine Reihe von namhaften experimentellen Komponisten Kanadas wie Michael Snow, James Tenney, Barry Truax, Rudolf Komorous und Bengt Hambraeus. Auch jüngere, zum Teil hochbegabte Komponisten wie Walter Boudreau und Michel-Georges Bregent hatten sich offenbar absichtlich zurückgehalten. Andere, wie der jüngst in Paris ums Leben gekommene Claude Vivier oder der durch pädagogische Konzepte bekannt gewordene R. Murray Schafer, auch der rührige Senior der franko-kanadischen neuen Musik, Serge Garant, wurden gleich mehrfach aufgeführt, ohne daß eigentlich hierzu eine Notwendigkeit bestand. Der Negativeffekt der massierten Kanadastücke – auch einige der Stücke, die ein New Yorker Ensemble und das argentinische Ensemble im Gepäck mitgebracht hatten, war in Komposition oder Interpretation noch nicht über den Bereich eines regionalen Konservatoriums-Niveaus hinausgewachsen –, der so noch potenzierte Negativeffekt wurde weiter verstärkt durch eine denkbar ungeschickte Veranstaltungsdramaturgie. So wurde der Tiefpunkt der anglokanadischen Musiktage in Toronto ausgerechnet im Schlußstück eines in sich schon außerordentlich schwachen Schlußkonzerts mit elektronischer Musik erreicht. Und die ganze Schar der internationalen Festival-Traveller saß tagsdrauf bedrückt im Sonderzug nach Montreal in der ungewissen Hoffnung, es möge doch im französischen Landesteil ein wenig mehr Musikkultur, mehr Fingerspitzengefühl am Werke sein. Eröffnet wurden die Musiktage andererseits mit der vollständigen Uraufführung des experimentellen Projekts „Laboratorium“ von Vinko Globokar in einer hohen Maßstäben entsprechenden Einstudierung des Komponisten, die allerdings zwei Tage vor der Gala-Eröffnung des Hauptprogramms angesetzt war als ein Extra für ein vorausgegangenes Symposion über Musiktheater. So haben die wenigsten diese „Laboratorium“-Aufführung erlebt.
Umgekehrt gefragt, was haben die Weltmusiktage aus bundesdeutscher Sicht und darüber hinaus in der Fülle weniger interessanter Stücke gebracht? Das einzige von der internationalen Jury vorgesehene Stück aus der Bundesrepublik aus dem Angebot der bundesdeutschen Vorjury war Isang Yuns Orchesterstück "Exemplum in memoriam Kwangju" von 1981 zum Gedenken an den Studentenaufstand in Kwangju im Mai 1980, der bekanntlich in einem Massaker endete. Dieses zwar für die bundesdeutsche Kompositionslandschaft etwas untypische, doch außerordentlich konkrete, inhaltliche, ja politische Orchesterstück fand in Montreal zwischen "Don Juan" von Strauss und der 1. Sinfonie von Brahms mit dem "Orchestre symphonique de Montreal" unter der Leitung von Charles Dutoit eine genaue und zwingende Aufführung und ein aufmerksames Publikum von etwa 4000 Konzerthörern in zwei Abonnementskonzerten.
Weniger Glück hatten die beiden zusätzlich ins Programm gerückten deutschen Stücke: Wolfgang Rihms jüngstes Streichquartett, das einer Umdisposition zum Opfer fiel, und Karlheinz Stockhausens „Harlekin“, das zwar ideenreich von einer amerikanischen Klarinettistin auf die Bühne gebracht, doch dabei mit allerlei zusätzlichen Figuren auf fast die doppelte Länge gestreckt wurde.
Mit relativ wenigen Stücken wünscht man sich eine Wiederbegegnung. Doch tauchten allerlei neue Namen auf mit Stücken, die aufhorchen ließen, darunter Gerard Brophy, ein junger Australier, mit einem Teufelskonzert für elektrische Violine und Orchester, darunter Cecilie Ore, eine junge Norwegerin mit einem Chorstück mit Solosopran über Schmetterlingsnamen und ein japanisches Haiku, darunter die meisten der Beiträge aus England, wie die Tonbandstücke von Jonty Harrison und Dennis Smalley, die über den Wettbewerb von Bourges bekannt geworden sind, die vitalen Chor-, Ensemble- und Streichquartettstücke von Nigel Osborne, Simon Hainbridge und Roger Smalley.
Höchste Maßstäbe vermittelten in ihren Konzerten in Toronto und Montreal das Arditti Quartet und der amerikanische Pianist Yvar Mikashoff aus Buffalo/New York. Die Ardittis brachten neue Stücke aus Skandinavien mit, ein exotisches, griechisch-mazedonisch tönendes von dem Schweden Jan W. Morthenson und ein konzeptionelles Stück von dem Dänen Karl Aage Rasmussen, in dem melodische Soli von extrem unauffälligen Begleitfiguren schattiert werden, die dann allmählich melodische Prägnanz gewinnen in dem Maße, in dem die Soli immer gestaltloser zu werden beginnen: "Solos and Schadows" – eine Hommage an Carl Nielsen.
Eher ganz beiläufig und nur als ein Ersatzstück für das von ihrem Fluggepäck und damit von ihrem Cello getrennte Arditti Quartet brachte Yvar Mikashoff eine Folge kleiner Tango-Studien ins Programm. Neben dem zarten Radierstück von John Cage, das ihn als Meister auch der kleinen Form zeigt, ließ vor allem der Tango von Conlon Nancarrow aufhorchen, das erste Stück, das dieser in den vierziger Jahren nach Mexiko emigrierte amerikanische Musiker seitdem für ein herkömmliches Instrument und für einen lebendigen Musiker geschrieben hat, nachdem er mehr als vierzig Jahre sein Leben ausschließlich der Musik für das mechanisch gesteuerte Player Piano gewidmet hatte. Ein faszinierendes Stück, das das Maschinelle, der Klaviermechanik so wenig verleugnet, wie die Player Piano Studies die Charaktere von Tango, Blues, Ragtime und Waltz.
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