Impertinent sanft
BerichtDie Donaueschingen Musiktage 2025
Unter dem Titel „Voices unbound“ fanden vom 16. bis 19. Oktober die Donaueschinger Musiktage statt, veranstaltet von der Gesellschaft der Musikfreunde in Zusammenarbeit mit der Stadt Donaueschingen, dem Südwestrundfunk und dem SWR Experimentalstudio. In 14 Konzerten, Performances und Installationen mit 23 Ur- und Erstaufführungen sollten Künstler:innen zu Gehör kommen, die „ihre Stimme erheben“.
Mit einem Festakt feierte der SWR in kleinerem Rahmen 75 Jahre Beteiligung am Festival als Veranstalter. Auf dem Podium war neben diversen Reden auch kurz die DJ-Künstlerin Mariam Rezaei zu hören, die aus dem Archiv des SWR Aufnahmen von Konzerten der Musiktage kompilierte, collagierte und verfremdete. Später am Abend, im dunkelkalten Schlossgarten des Fürsten, war das Ergebnis dieser Unternehmung in voller Länge zu hören. Wenngleich Rezai sicherlich eine Meisterin auf ihrem Gebiet ist (auch als Komponistin und Performerin), überzeugte das Ergebnis nur teilweise – es klang eben genau nach dem, was es sein sollte: ein Ritt durch ein Klangarchiv durch die Augen einer Turntablistin.
Wie jedes Jahr (seit 53 Jahren!) wurde in Donaueschingen außerdem der Karl-Sczuka-Preis vergeben, insgesamt bereits zum 64. Mal. Beworben hatten sich 95 Artists aus 31 Ländern. Leona Jones wurde ausgezeichnet für ihr Werk „apeiron“, eine Beschäftigung mit dem Unendlichen. Dabei benutzt Jones (laut eigener Aussage während des Artist Talks) immer natürliche Sounds und verschmilzt Ozean, Menschen und Urwesen zu einer eindrücklichen elementaren Soundwelt. Weitere Preisträger waren Jorn Ebner mit „Polyphonie an der Peripherie“, der mit Tonbandaufzeichnungen von Wilhelm Schmidt aus dem Berlin der 1960er Jahre arbeitete, sowie die britische Soundkünstlerin Dinah Bird für „Surface Bruit", eine Arbeit über Schallplatten.
Der Rahmen
Wie üblich spielte das SWR Symphonieorchester das Eröffnungs- wie auch das Abschlusskonzert. Doch war die Stimmung beim Festivalstart für einige, wenngleich definitiv nicht für alle, eher gedrückt. Dem Festival voraus ging eine Diskussion, die schließlich zur Programmierung einer live im SWR übertragenen Podiumsdiskussion am Donnerstagabend führte. Lydia Grün, Gregor Hotz, Shoko Kuroe, Merle Krafeld und Anke Mai wurden von Martina Seeber (SWR) und Johann Jahn (BR Klassik) zum Thema „Machtstrukturen im Musikbetrieb“ befragt. Im Grunde ging es an diesem Abend aber um die Causa Francois-Xavier Roth, den Chefdirigenten des SWR-Symphonieorchesters, der das Eröffnungskonzert dirigierte. Roth wechselte von Köln nach Baden-Württemberg in einem Moment, als Belästigungsvorwürfe laut wurden. Die Sachlage ist klar, alle Aufarbeitungs- und Meldeverfahren wurden mittlerweile dargelegt und so kamen keine neuen Details ans Licht. Die Frage, ob man sich im Bewusstsein der Vorgeschichte im SWR bei der Personalwahl auch hätte umentscheiden können oder müssen, blieb von Anke Mai, SWR Programmdirektorin Kultur, unbeantwortet. Und eine Abordnung des Orchesters ließ auf der Pressekonferenz verlauten, dass mögliche Widerstände in den eigenen Musiker:innenreihen mit fortschreitender Zusammenarbeit mit dem Meisterdirigenten abgebaut würden. Nun gut. Beim Betreten der Donauhallen wurde das Publikum vom Messestand eines lokalen Vereins zur Hilfe bei sexueller Gewalt begrüßt. Sehr präsent war außerdem das Awareness-Team, das Teil eines größeren Awareness-Konzepts war. Die Buhrufe bei Eintritt des Dirigenten beim Eröffnungskonzert (Musik von Mark Andre, Turgut Ercetin, Imsu Choi und Philippe Leroux) waren für die Hörer:innen am Radio wohl lauter zu vernehmen als im Saal selbst. Hier standen lediglich ein paar wenige junge Leute demonstrativ auf und verließen den Saal, vielleicht war der Begrüßungsapplaus auch verhaltener als sonst, ein paar Festivalbesucher:innen hatten außerdem ihre Karten zurückgegeben und das Konzert gemieden. Im Großen und Ganzen aber war wenig Protest zu vernehmen, dafür der gewohnte Konzertgang. Bei der Verleihung des Orchesterpreises stellten sich die Musiker:innen des Orchesters erneut ausdrücklich hinter ihren Maestro. Die Causa Roth scheint damit nun also auch für die Szene der Neuen Musik erfasst, diskutiert und akzeptiert.
„Voices"
Das Thema des Festivals war an vielen Stellen sicht- und hörbar. Besonders eindrücklich war „Tell Tales“ von Georges Aperghis, aufgeführt vom Ensemble EXAUDI und Tabea Zimmermann an der Bratsche. Das im Programmheft erwähnte (Musik-)Labyrinth, durch das sich die Zuhörenden einen Weg bahnen mussten, war ein hilfreicher Fingerzeig für ein Werk mit starker Sogwirkung, strukturiert durch geschickt verschachtelte Formteile. Ständig in Bewegung, häufig solistisch, manchmal gepaart oder gekoppelt mit den anderen Stimmen rezitierten die Sänger:innen des Vokalensembles unverständliche Textfetzen in mehreren Sprachen. Dazwischen tauchten einzelne klare Sätze und Satzteile auf, wiederum abgelöst von geschwätzigem Durcheinander oder gruppenryhthmischen Kommentierungen. Die ausgewogenen und dennoch niemals eintönigen Klanglagen waren im ständigen Dialog mit der Viola, die durchaus solistisch, aber kaum kontrastierend agierte und ebenso wie der Gesang manchmal energisch und nachdrücklich, manchmal flatterhaft und kurzatmig nach und nach ein immer größeres Klanggebäude baute.
Gänzlich anderen Spracheinsatz erfuhr das Publikum im Konzert „La nuda voce“, benannt nach Francesca Verunellis neustem Werk für Sopran und Ensemble, aufgeführt von Johanna Vargas und dem Klangforum Wien. Wie für Verunelli üblich spielte auch in diesem Werk Stimmung eine wichtige Rolle: „Tuning is a way of letting the sound live“, so die Künstlerin. Leider ging der Gesang häufig im Ensembleklang unter, weshalb sich das Hörerlebnis mit der Frage verband, ob dies denn Absicht gewesen ist.
Die anderen Werke dieses Konzerts waren im Gegensatz zu den sonstigen Stimmungen des Festivals fröhlich, ausgelassen, kraft- und humorvoll. Alexander Khubeev veranstaltete in „Garmonbozia“ ein großes Tohuwabohu. Betont geräuschhaft versetzte er Organismen in Aufruhr, ließ die Welt knarzen, wühlen, brummeln, schrammeln, flirren. In gewisser Weise wirkte die Musik sehr vokal und endete mit einem erschreckenden musikalischen Gleichschritt, der die Gestaltungskraft seiner Musik deutlich machte. Koka Nikoladze wiederum ließ in „Masterpiece" eine Stimme aus dem Off Zeichen vorlesen und schickte ein unbändiges und humorvolles Klangmonster auf die Bühne. Eine Mischung aus klamaukigem Tanzorchester, mechanischer Musik à la „ballet mécanique“ und Effekthascherei mit Föhn und Spielzeugpistole wurde strukturiert durch die Vorlesestimme, ergänzt durch Bild beziehungsweise das live nachverfolgbare „Libretto“:
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Andauernde Wiederholungen
Zwei Tendenzen wurden auf den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen deutlich: Andauernde Wiederholungen in unterschiedlichsten Varianten und popkulturell durchdrungene Medleys waren vielfach zu hören.
Eines der beeindruckendsten Werke war „The Blue Hour“ von Sarah Hennies, geschrieben für Sarah Saviet an der Violine und Joseph Houston am Klavier. Der Auftritt des Duos war beeindruckend: Geschlagene neunzig Minuten präsentierten die beiden Musiker:innen einen musikalischen Prozess, eine Suche nach einer Melodie, einen Zustand, der ab einem gewissen Zeitpunkt kein Anfang und kein Ende zu haben schien. Beide performten mit einer tiefen Hingabe, einer emotionalen Durchdringung und einer Ausdauer, die in ihrer Qualität einzigartig ist. Zu Beginn erklang eine kurze musikalische Idee, von Klavier und Geige gleichzeitig gespielt und dabei gegeneinander leicht verstimmt. Mit unablässigen Wiederholungen, minimalen Variationen, immer neuen Anläufen, Ton für Ton gesetzten und erweiterten Skalen konnte das Publikum einer Entwicklung folgen – stoisch in Abschnitten durchexerziert und dabei von einer unvergleichlichen Ruhe, impertinent sanft. Die nachtschlafende Zeit (Konzertbeginn 22 Uhr) und sicher auch das Langformat ließen einige Publikumsreihen lichter werden, dennoch zog das Werk in den Bann. Hennies nimmt die Hörer:innen in „The Blue Hour“ mit in ihre Welt der Wiederholung. Am Ende verliert man sich in den Wirren multidimensionaler Traumlandschaften und kann aus dem Sog nur noch mit einem Knall befreit werden.
Mit Wiederholung hatte sich auch Laure M. Hiendl mit „The deepest continuity is paradoxically that which continually restarts or renews itself“ im Abschlusskonzert befasst. Material für das fast halbstündige Werk ist ein kurzer Ausschnitt aus Ralph Vaughan Williams‘ 7. Symphonie. Diese wenigen Takte bringt Hiendl in Dauerschleife als „bewegtes Stillleben“ und aus einer Perspektive des Machine Listening: Man hört ein auskomponiertes Ergebnis, eine instrumentale und orchestrierte Transkription eines Sampling-Prozesses. Wenngleich die Idee simpel scheint, trägt sie doch. In den permanenten Schnitten zeigt sich hier ein Licht, da eine Veränderung, dort eine willkommene Wiederholung, wie eine CD im Auto, die stecken geblieben ist und nur noch einen Track spielen kann.
Medley ohne Ende hingegen brachte Mirela Ivičević mit „Red Thread Mermaid“. In einer merkwürdigen Verwurstung verschiedenster Stile à la Disneymusik, „Harry Potter“-Filmmusik und Musical-Hits wie „Grease“ präsentierte sich ein Stück, das mit Klischees spielte, jedoch die Pointe verpasste, die das Ganze als Persiflage oder Metakommentar hätte offenlegen können. Abrupte Wechsel und verschiedene evozierte Gemütszustände, die durch die vielen Anspielungen teils sehr körperlich und direkt wirkten, generierten zwar ein abwechslungsreiches Hörerlebnis (das zweifellos auch eher der lustvollen Kategorie der Neuen Musik zuzuordnen ist), hinterließen jedoch Fragezeichen: Was kommt nach der – gekonnten und in der Orchesterbehandlung überzeugenden – Kompilierung?

Die tonale Mitte
Einem so dichten Festival wie den Donaueschinger Musiktagen tut ein wenig Abwechslung in den Formaten gut. Und so war „Aura“ von Eimermacher für 22 Performer:innen des Klangforum Wien unter Mitwirkung der Komponistin selbst (Stimme) eine gelungene Variation. Kreisförmig im Raum waren die Musiker:innen in Grüppchen aufgeteilt, dirigiert je zur Hälfte von Vimbayi Kaziboni und Xizi Wang. Das Publikum saß drumherum auf Stühlen oder konnte in der Mitte auf Turnmatten Platz nehmen – ganz dem Ansinnen der Komponistin entsprechend und einer „Klangumarmung“ folgend. Visuell ansprechend und ruhig inszeniert erklangen schwingende Metallstäbe, waberten Klangwolken, pendelte sich die Musik auf Tonhöhen oder Harmonien ein. Auch hier: Wiederholung. Zwischen den Solo-Stationen entstanden kurze Dialoge, auch Bewegung war zu vernehmen, jedoch alles andächtig und mit Liebe fürs Detail, dafür aber vielleicht auch ein wenig zu unfrei. Es war ein gemeinsames Einfinden, ein Auffächern, ein Aufhellen im Nebel, ein Pendeln, schließlich ein kollektives Atmen.
Bemerkenswert ist hier wie auch in einigen anderen Werken des Festivals die immer häufiger zu findende Annäherung an tonale Momente, die an der ein oder anderen Stelle doch zu erwartbar und zu lieblich sind – die Diskussion, wie mit dem Kleber des Poetischen in der Neuen Musik umzugehen ist, läuft auch hier. Eher selten war auf diesem Festival musikalisch Unbequemes zu hören.
Dazu passt auch die finale Auswahl des SWR Symphonieorchesters für ihren Orchesterpreis, der an Philippe Leroux für „Paris, Banlieue (Un informe journal de mes rêveries)“ ging. Bei der Verkündung lieferte Felix Birnbaum im Namen des Orchesters gleich eine Botschaft an Komponist:innen mit (nicht etwa einen Wunsch, sondern eine Botschaft!): „Wir würden uns wünschen, dass Sie unseren Klang, diese Ressourcen, diese Möglichkeiten, die es gibt, Klänge zu entwickeln, nutzen. […] Wir freuen uns, wenn wir unsere Musikalität voll entfalten können, denn deswegen sind wir hier in Donaueschingen“. Der Diskurs, welche Position Symphonieorchester in der Neuen Musik einnehmen, lebt gerade wieder auf.
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