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Gastr del Sol - Camoufleur

camoufleur
Gastr del Sol - Camoufleur
23 February 1998
Drag City

Gastr del Sol war eine amerikanische Band aus Chicago, die meiste Zeit bestehend aus David Grubbs und Jim O'Rourke. Zwischen 1991 und 1998 schufen die beiden eine Reihe von Alben, die unbekannte musikalische Territorien erschlossen und gleichzeitig verschiedene Richtungen aufzeigten, in die sich Musik weiterentwickeln kann (gesetzt den Fall, sie würde weiter abenteuerlustig bleiben). „Camoufleur“ ist ihr letztes Studioalbum. Grubbs kommt aus der Hardcore-Szene von Louisville, war als Teenager Mitglied von Squirrel Bait und leitete während seiner College-Zeit die Band Bastro. O'Rourke unterdessen suchte in allen möglichen experimentellen Ecken nach obskuren Platten und machte sich schließlich einen eigenen Namen in der tape music-Szene. Als Grubbs sein Projekt Bastro auf Eis legte und unter dem Namen Gastr del Sol das Album „The Serpentine Similar“ aufnahm, stieß O'Rourke dazu.

Mit „Camoufleur“ entfernten sich Gastr del Sol von ihrer rein auf musique concrète-basierenden Produktion und ihrem atonalen, aber stark von John Fahey beeinflussten Gitarren-Songwriting. Sie entwickelten sich weiter Richtung konventioneller Melodik und bläser- und streicherlastiger Arrangements. Das somit entstandene Album wirkt wie ein Liebesbrief an Robert Wyatt. „Es gibt eine Menge sogenannter ‚avantgardistischer‘ Pop- und Rockmusik, und ich hasse dieses Zeug“, sagt O'Rourke. „Es behandelt andere Musikformen wie Streusel, die man auf etwas draufstreut. Das ist nicht wirklich in das Songwriting integriert, es ist auch nicht in die Wahl der Instrumente integriert. Es wird einfach wie ein stylischer Schal behandelt, den man um den Hals uninteressanter Musik drapiert.“ Das Album entstand gemeinsam mit Markus Popp von der deutschen Glitch-Gruppe Oval. Er steuerte seine art-damaged CD-Mixologie zu einigen Tracks bei, die zwar nicht unbedingt fehl am Platz klingen, aber dem Ganzen eine gespenstische Schönheit verleihen.

„Camoufleur“ ist eine wundervolle Momentaufnahme vielleicht am Höhepunkt der Postrock-Szene Chicagos: David Grubbs selbst ist einer ihrer Begründer. Die Liste der Gastmusiker (wie John McEntire, Rob Mazurek und Ken Vandermark) spricht Bände über die Verknüpfungen zwischen neuer Musik, Kammerpop und der freien Improvisationsszene. Nach jahrelanger Zusammenarbeit von O'Rourke und McEntire in anderen Bands aus dieser Szene erscheint ihre Auswahl für das Album fast selbstverständlich (ein Jahr später würden beide Stereolabs das bahnbrechende Werk „Cobra and Phases Group Play Voltage in the Milky Night“ aufführen, aufnehmen und abmischen und damit ihren Einfluss außerhalb Chicagos ausweiten). Auch wenn es wie die widersprüchlichste Mischung überhaupt klingt, machen die verschiedenen Einflüsse Sinn: repetitive Grooves aus dem Krautrock, spacige Effekte des Dub und elektronische Texturen, die ästhetisch von Tape music der GRM (Groupe de recherches musicales) bis hin zu Underground-Sounds von Nuno Canavarros „Plux Quba“ reichen – einem Album, das O'Rourke nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von „Camoufleur“ auf seinem Drag City-Sublabel Moikai neu veröffentlichte.

Monsieur! I don't speak French. Yes. Don't worry, keep... keep doing... keep doing... I'm just recording you... It's a microphone. C'est quoi ça? Oh, what time? Nan mais ça? This? Ouais. It's a microphone. I'm recording you blowing off firecrackers. Is it okay? Um, is it okay if I record you setting off the firecrackers? I don't know what time it is, sorry.

Das Album beginnt mit „The Seasons Reverse“, einer Interpretation von Popmusik aus der Perspektive von Gastr del Sol: Akustikgitarre plus Farfisa-Orgel plus frenetisches, vom Digital Dub beeinflusstes Schlagzeug plus Kornett- und Steel-Drum-Solo plus Feldaufnahmen von Jim O'Rourke, der einen französischen Jungen dabei aufnimmt, Feuerwerkskörper anzuzünden. Songs wie „Blues Subtitled No Sense of Wonder“, „Each Dream Is an Example“ oder „A Puff of Dew“ zeichnen sich durch die für David Grubbs typischen Tondichtungen aus, die seine zukünftige Karriere als Solist vorwegnehmen. „Black Horse”, „Mouth Canyon” und „Bauchredner” waren Vorläufer für O'Rourkes spätere Veröffentlichungen wie „Halfway to a Threeway” oder „Eureka”, die sich durch ebenso dichte Arrangements wie Van Dyke Parks' Werke mit Brian Wilson und lange Codas auszeichnen, die wiederum von John Faheys inspirierten Ragas und Akkordfolgen beeinflusst sind.

Ein faszinierendes und einzigartiges Werk, liebevoll aufgenommen, das mit aller Deutlichkeit nach Originalität strebt und die Liebe zur Musik in sich trägt. Es wurde dieses Jahr von Drag City neu aufgelegt – holt euch ein Exemplar, solange ihr noch könnt (als ich das letzte Mal nachgesehen habe, gab es noch Exemplare bei A-Musik).

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Ebenfalls hörenswert:

Gastr del Sol - Upgrade and Afterlife (Drag City, 1996)

Jim O'Rourke - Bad Timing (Drag City, 1997) 

David Grubbs - The Thicket (Drag City, 1998)

Oval - Dok (Thrill Jockey, 1998)

John Fahey - Fare Forward Voyagers (Takoma, 1973)