„… dass wir alles machen könnten“
FundstückErhard Grosskopf im Gespräch mit Frieder Reininghaus (1982)
Lied für Bassklarinette und Streichquartett op.19/1977
Bemerkungen des Komponisten
Das Werk entstand 1977 während meines zweiten Aufenthaltes in der Villa Massimo Rom. Eine Liedmelodie, die ich zu Hanns Eislers „Confessio“ (35-strophiges Gedicht aus seinem Opernlibretto Johann Faustus', zu dem er die Musik nie geschrieben hat) gemacht habe, bildet das Grundmaterial für wiederholte Annäherungen an ein Thema, eben diese Liedmelodie,
die selbst allerdings nie offen erscheint. Im Gegensatz zu der Möglichkeit, Zitate aus anderer Musik und mit der damit verbundenen Erinnerungsaura einzusetzen, bewegt sich dieses Stück an der Grenze des gerade wahrnehmbaren Zitierens, als dessen Quelle zudem eine eigene und eigens für diesen Zweck erfundene Melodie dient.
(Ausnahme: die beiden „Luther-Teile“ 2. u. 4., bei denen in ähnlicher Weise wenige Töne aus „Ein feste Burg ...“ verwendet werden.)
Sich an der Grenze des Zitierens zu bewegen, verlangt von den Interpreten ein exaktes Verständnis des musikalischen Textes, ein extremes Maß an Genauigkeit in seiner Interpretation und ein feines Gefühl für die notwendige Balance.
Bei aller meiner Bewunderung für die Person Eislers, wird man in meiner Komposition keine Momente der Nachahmung seines Stils finden. Die Kompositionstechnik ist vielmehr eine
Weiterentwicklung meiner „Looping-Technik“ (von Loop = Schleife, Tonbandschleife), die ich erstmals 1972 in der elektronischen Musik „Night Tracks“ erprobt habe.
In „Lied für Bassklarinette und Streichquartett“ werden die einzelnen Materialschleifen nicht mehr über längere Zeit von jeweils einem Instrument gespielt, sondern wechseln nach einer dazu entwickelten Methode zwischen den verschiedenen Stimmen. Die Harmonik
bewegt sich in dem Spannungsfeld Tonalität-Atonalität, wobei mich die Einbeziehung sog. atonaler Klänge in den „natürlichen“ Klangbereich einer neuen Tonalität interessiert.
Die Überschriften zu den 12 Teilen der fünfsätzigen Komposition stammen aus dem erwähnten Gedicht Eislers.
I 1. Bin der Sohn eines Bauern gwest
II 2. In die Luther Lehr
3. In Thomas Münzers Lehr
4. Zurück zu Martin Luther
III 5. O Frankenhausen
6. Man sagt, wer seinen Lehrer nicht ehrt
7. Thomas Münzer geschlagen
IV 8. Half kein Salben und Binden
9. Half kein Drehen und Winden
10. Hat nur die Herrschaft der Herren jämmerlich verklärt
11. Ach kam ich da von dem Regen in die Traufen
V 12. Der eigenen Kraft mißtrauend, hab den Herren ich die Hand gegeben
Erhard Grosskopf im Gespräch mit Frieder Reininghaus
Mir scheint das „Lied für Bassklarinette und Streichquartett“ den Standort deutlich zu machen, den der Komponist heute [1981/82] bezieht. Grosskopf kommt her von der Ausbildung bei Ernst Pepping und Boris Blacher, ohne deren Stile in den Sechzigerjahren zu adaptieren. Dennoch verraten noch die Titel „Sonata concertante“ oder „Konzertante Aspekte“ die Beziehungslinie zum Handwerk Peppings und Blachers, von dem sich Grosskopf bald auf experimentellem Feld zu lösen verstand. Nach Jahren der Arbeit mit elektronischer Musik, Live-Elektronik und der Verbindung von herkömmlichen Instrumenten mit elektroakustischer Klangmanipulation, auch Ausflügen in die Sphäre einer Musik mit unmittelbarer politisch-agitatorischer Wirkungsabsicht um das Jahr 1974, stellt sich nunmehr die Frage von musikalischem Material und hörbarem Resultat, kompositorischer und außerkompositorischer Intention wieder anders.
Erhard Grosskopf tritt sehr bescheiden auf. Er verfolgt, zugleich tastend und beharrlich, seinen individuellen Weg als Komponist. Und der verläuft – das ist typisch für eine ganze Reihe von Komponist:innen der Sechziger- und Siebzigerjahre – nicht ohne Brüche im Werk. Solche hörbaren Veränderungen zwischen einzelnen Perioden des Komponierens sind bei Grosskopf insofern bemerkenswert, als seine äußeren Lebensumstände wenig turbulent erscheinen. Er blieb statisch an Berlin gebunden.
In einem ausführlichen Gespräch versuchten wir, die Abschnitte in Grosskopfs kompositorischer Arbeit zu bestimmen, die Probleme der Ausbildung – der Voraussetzungen für diese Arbeit – zu erörtern und Antwort zu erhalten auf einige Fragen der „freien Komponisten-Existenz“.
Meine Biographie sieht sicher anders aus als viele andere – nicht nur, weil ich aus Individualität darauf bestehe, sondern weil sie tatsächlich anders verlief. Die meisten Musiker, die ich kenne, beschäftigten sich schon früh mit Musik. Ich habe mich in der Kindheit nicht besonders für Musik interessiert. Auch im Alter von 16 dachte ich, ich würde vielleicht Maler werden oder Ingenieur.
Ist denn die (unausgesprochene) Voraussetzung für eine Komponistenlaufbahn, dass man aus dem Bildungsbürgertum stammt? Klavierunterricht von früher Jugend an?
Ich glaube schon, dass die Karrierewege weitgehend so angelegt sind, dass es eigentlich gut ist, wenn man möglichst aus einer „Fachfamilie“ kommt, die einem entsprechend weiterhelfen kann – dass man schon die richtige zielgerichtete Ausbildung mitbringt und möglichst schon mit sieben Jahren irgendwo als Wunderkind aufgefallen ist. Bei mir hat die Musik mehr einen geistigen Weg genommen. Ich wollte zunächst gar nichts mitteilen, sondern aufnehmen. Mich selber mit Musik auseinandersetzen. Das begann mit etwa 17 oder 18 – was sehr spät ist.
Auch sehr spät, um ein Instrument zu erlernen. Ich habe dann angefangen, mir selber etwas Geige beizubringen, hatte dann zeitweise eine Lehrerin, die mir aber nicht viel half. Sie sah mich als eine Art Wunder an, weil ich für ihre Begriffe zu schnell lernte und sie nicht wusste, wie sie das zügeln sollte – anstatt mir einfach nur ordentliches Handwerk zu zeigen.
Ich habe Noten lesen gelernt und Partituren gelesen. Das war ähnlich wie andere Leute Bücher lesen. Meine Auseinandersetzung mit Musik ging nicht über ein Instrument, sondern hauptsächlich über Partituren. Und dann entwickelte sich der Wunsch, das selber zu machen – so, wie das bei anderen am Instrument passiert.
Es gibt keine einheitliche gesellschaftliche Vorschrift, wie man heute komponieren sollte. Es gibt eigentlich alle Möglichkeiten, die sich nur denken lassen und die auch in der Geschichte vorhanden waren. Wir sind heute an dem Punkt, dass wir alles machen könnten – und wahrscheinlich ist das für viele Künstler die eigentliche Schwierigkeit. Das bedeutet ja nicht nur Zwang, sondern es bedeutet auch sozusagen ‚gesellschaftlicher Auftrag’.

Auf Umwegen zur Existenz eines Avantgarde-Komponisten
Erhard Grosskopf wurde 1934 in Berlin geboren, besuchte das Gymnasium in Hannover und studierte zunächst in Frankfurt. Er versuchte es mit Medizin, Philosophie, Mathematik, bis er über die evangelische Kirchenmusik zum Kompositionsstudium gelangte. Er studierte zunächst bei Ernst Pepping, der seinen Ruf vor allem sakraler Vokalmusik und Orgelwerken verdankte, dann beim weltläufigen Boris Blacher. Nach zweijähriger Tätigkeit als Dozent am Städtischen Konservatorium Berlin lebt Grosskopf seit 1966 in Schöneberg als „freier Komponist“. Nur zweimal verließ er die örtliche Szene zu Studienaufenthalten in Rom: 1967 und 1977 war er jeweils Stipendiat der Villa Massimo.
Für mich war, wie gesagt, der Weg etwas anders als für die meisten anderen. Es gab von zuhause aus keinerlei Vorbereitung auf den Komponistenberuf hin. Aber eigentlich wollte ich von vorneherein Musik studieren. Das ging jedoch zunächst aus ganz einfachen Gründen nicht: Man musste damals zur Aufnahmeprüfung auf dem Klavier vorspielen (ich weiß nicht, wie dies inzwischen gehandhabt wird). Ich fing an, etwas Klavier zu lernen – eigentlich nur mit dem Ziel, die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Bin dann aber erst einmal in Frankfurt durchgefallen, weil ich nicht gut genug Mozart spielte. Über den Umweg der Kirchenmusikausbildung kam ich dann aber doch noch zum Kompositionsstudium.
Wie funktionierte das?
Im Kompositionsunterricht fand eine Auseinandersetzung mit dem statt, was ich geschrieben hatte: Ich fing also irgendein Stück an, bin dann damit jede Woche zu meinem Lehrer gegangen und wir haben darüber gesprochen. Er hat seine Kritik geäußert und ich habe sie akzeptiert oder auch nicht. Ich habe sozusagen unter der Einflussnahme dieser Kritik gearbeitet. Die Hälfte der Stücke, die so entstanden, war dadurch bestimmt, ob sie auch realisierbar waren; d.h. nicht in dem Sinn aufführbar, dass ich jetzt Konzerte haben wollte, um damit an die Öffentlichkeit zu treten, sondern ich wollte die Stücke selber hören. Ich wollte sie nicht nur auf meinem Papier sehen, sondern leiblich hören.
Welches Bewusstsein und welches Selbstbewusstsein ist heute nötig, um avantgardistische Musik zu kreieren?
Die Entwicklung zur avantgardistischen Musik ist ein eigener Weg. Entweder man macht es oder man macht es nicht. Für mich war es eine eher eigenwillige und dickköpfige Entscheidung. Mir ging es um Klänge, Strukturen der Musik und auch die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft – also: Der Widerspruch hat mich interessiert. Deshalb habe ich es gemacht. Es gibt sicher auch andere Wege. Ich kann mir vorstellen, dass, wenn ein junger Komponist in der Umgebung irgendwelcher namhafter weltberühmter Avantgardisten ausgebildet wird, auch eine ganze Menge Opportunismus mit im Spiel sein kann, so etwas zu machen: Er sieht da Vorbilder, denen er nacheifern möchte. Ich habe mich bei meinen Arbeiten auch nicht viel gefragt, ob sie Erfolg bringen oder nicht, und mich geweigert, die Konsequenzen zu sehen (wie mein Vater das allemal sagte). Ich versuche also, im neueren Bereich der Musik erfinderisch tätig zu sein, ohne dass ich sage: Das ist meine Methode (so ist Schönberg aufgetreten!) – und diese Theorie wird jetzt das nächste Jahrhundert bestimmen. Aber ich arbeite doch sehr selbständig an meiner Musik.
Die zeichnet sich durch verschiedene Phasen aus ...
Ja, in der ersten Phase hatten die Stücke Titel wie „Sonate“, „Sonate concertante“ usf., was damals weniger auf eine Anlehnung an die Klassik zurückging, sondern auf eine Auseinandersetzung mit der Neuen Wiener Schule (also mit Arnold Schönberg und dessen Schülern, Anton Webern und dessen Kollegen). Danach folgte eine nächste Phase, die Elektronik miteinbezog (also Instrumente und Elektronik), zum Teil Live-Elektronik, zum Teil Tonband. Und dann gab es eine Phase, die sehr stark bestimmt war durch elektronische Klangvorstellungen – und die Realisation erfolgte dann nachher durch Instrumente. Etwa in dieser Zeit fing auch das mit der sogenannten „Looping-Technik“ an, die mich jetzt immer noch beschäftigt. Die Anregung dazu kam ganz sicher von der neuen amerikanischen Schule, also von Steve Reich oder Philip Glass. Bei deren Musik geht es darum, dass einzelne kurze Phrasen wiederholt und dann gegeneinander verschoben werden. Die Musik entsteht in dieser Phasenverschiebung. Das habe ich in dieser Form nie gemacht, aber sicher kam von da die Anregung.
Die „Looping-Technik“ ist ganz genau kalkuliert. Ich habe stets mit einer traditionellen Notation gearbeitet. Wenn bei mir Phasenverschiebungen stattfinden, dann sind diese in Sechzehnteln oder Achteln messbar und notiert.
Für mich wird in der nächsten Zeit die Entwicklung einer neuen Art von Harmonik in Verbindung mit der Looping-Technik eine große Rolle spielen.
Gerade auch bei den mit Looping-Technik produzierten Arbeiten sticht die graphische Komponente ins Auge. Wie prädestinieren optische Strukturen die akustischen Resultate?
Ich muss sagen: ich habe über diese Frage in dieser Form noch nie nachgedacht.
Die Partituren sind sehr sauber geschrieben, optisch reizvoll, kalligraphisch schön.
Ja, das hat auch den Grund, dass meistens nach der Original-Partitur gespielt wird. Die original geschriebenen Noten werden nicht noch einmal abgeschrieben, sondern kopiert und den Musikern als Stimmen gegeben. Und dann müssen sie lesbar sein. Die Tendenz zum sorgfältigen Schreiben hat sich bei mir noch verstärkt, da ich seit einigen Jahren meine Stücke im Selbstverlag ediere – womit ich mich hier gar nicht brüsten will. Denn ich empfinde das nicht nur als positive Entwicklung. Aber es hat sich so ergeben. Ich habe mich in der Zeit einer politischen Exponierung von meinem letzten Verlag getrennt und seitdem nicht mehr ernsthaft versucht, neue Stücke in einem Verlag unterzubringen. So ergab sich die Aufgabe, dass ich als mein eigener Verleger und als mein eigener Notenschreiber die Partituren so gestalten musste, dass sie sich auch sofort vervielfältigen lassen.

Regionale Anbindung und Internationalität, musikalische Produktivität und Politik
Gibt es überhaupt noch so etwas wie nationale oder gar regionale Entwicklungen in der Neuen Musik oder ist das längst ein internationales Pflaster, auf dem durch die Medien-Situation weitgehender Austausch stattfindet?
Ganz spontan fällt mir ein: Ich fühle mich eigentlich gar nicht als Berliner Komponist. Bin hier eher so etwas wie ein Außenseiter.
Also hängen geblieben? Warum kein Ortswechsel?
Ja, das ist auch eine Frage! Wohin? Für mich ist Berlin noch immer sehr reizvoll geblieben und ich sehe keine Alternative. Ich habe manchmal eine Wut auf Berlin – wie Schönberg auf Wien –, nein, eigentlich nicht auf Berlin selber, mehr auf die Situation hier. Dann möchte ich woanders hin. Aber ich weiß gar nicht, wohin.
In einer Hinsicht fühle ich mich gar nicht als Berliner Komponist – insofern, als nämlich meine Beziehungen zu Kollegen in Berlin sehr viel schlechter sind als zu vielen Kollegen in London, New York, Amsterdam, Rom und in anderen Städten oder Orten. Auf der anderen Seite lebe ich hier, seit ich 1957 zu meinem Kirchenmusikstudium hierher zurückgekehrt bin. Und das bedeutet natürlich auch, dass man mit der Entwicklung hier verbunden ist, zumal ich ja schon ziemlich früh, Mitte der Sechzigerjahre, angefangen habe, Avantgarde-Konzerte zu organisieren, also auch von daher das Musikleben in Berlin beeinflusst habe. Was sich jetzt in der letzten Zeit mit der „Insel-Musik“ verbindet, ist sehr stark ein egoistisches Interesse des Komponisten, Interpretationen auszusuchen und zu beeinflussen.
Inwieweit hat die zeitweise politisch-gesellschaftlich heftige Entwicklung in Berlin [1967ff.] das Denken beeinflusst?
Es gab eine Zeit, in der ich durch politische Einflüsse auf mein Denken auch meine Musik geändert habe. Ich kann mich erinnern: Ich habe einmal zu einem Stück – von meiner damaligen jüngsten Vergangenheit her – ganz provozierend im Programmheft geschrieben: Dies ist eine freundliche Musik. Das sollte bedeuten: Das ist jetzt keine widerspenstig sich gegen die Gesellschaft stellende Musik, sondern – im Gegenteil – eine entgegenkommende. Diese Entwicklung ging damals so weit, dass ich – für mich – einfache Lieder für Gitarre und Stimme schrieb, auch im Kontext jener politischen Entwicklung.
Das war die Vorstellung, dass Kunst für die „Klassenkämpfe“ nützlich sein sollte und der Komponist deshalb für diesen Gebrauchszweck zu schreiben habe?
Ja, das war die eine Seite. Die andere Seite war ein gewisses Ausruhen aus diesen ständigen selbstgemachten Widersprüchen: dass ich nämlich tatsächlich so etwas wie Aufträge entgegennehmen wollte. Ich wollte einfach gesagt bekommen: Jetzt schreib doch mal so, mach doch mal das. Und das hat ja nicht nur die idealistische Seite, dass ich sagen will: ich will nützlich sein, sondern es ist auch etwas bequem. Auf jeden Fall hat der Versuch, politischer zu werden und „die Politik“ in meine Musik eindringen zu lassen, meine Entwicklung beeinflusst, meine Arbeit auch rein musikalisch verändert und eine Entwicklung, die ich ohnedies hätte gehen müssen, vorangetrieben.
Ängste und Hoffnungen
Der Komponist Erhard Grosskopf teilte die Politisierung mit vielen Berliner Intellektuellen in den frühen Siebzigerjahren, dann die Desillusionierung und das Scheitern linker Politik, auch das Scheitern des Umschlags von avantgardistischer Produktion zu einer Musik, die bei Großveranstaltungen, gar auf der Straße „wirken“ sollte. Zugleich bekennt er sich zu den gesammelten Erfahrungen, strebt heute „Vermittlungsformen“ an: Modelle, die sich der „fortgeschrittensten, avanciertesten Mittel“ bedienen, zugleich aber auch die „Außenbeziehungen“ von Musik reflektieren, die Hörbarkeit, die sozialen Kommunikationsformen.
Was den freien Beruf angeht, habe ich natürlich Angst vor der wirtschaftlichen Unsicherheit, die ich jeden Monat neu erlebe und jedes Jahr. Auf der anderen Seite habe ich Angst, mehr Angst, dass ich schlechte Musik machen könnte.
Was sind die größten Hoffnungen? Der Nachruhm?
Ja, größte Hoffnungen! Den Nachruhm möchte man ja eigentlich noch miterleben. Man möchte doch wenigstens den ersten Zipfel davon miterleben ...
... und hofft, dass nach dem Zipfel doch noch die Wurst kommt? Und deshalb schindet man sich in Nachtarbeit? Oder eher doch nicht: Man lebt lieber entspannt?
Unterschiedlich. Es gibt bei der Arbeit an jedem Stück verschiedene Phasen. Auf die erste, die meistens sehr von Unruhen, Ängsten, natürlich auch vom Ansturm von Ideen und Einfällen geprägt ist und vom Problem, diese Dinge in den Griff zu bekommen, folgt die Phase, die ich am liebsten mag: Wenn das alles im Kopf im schönsten Widerstreit liegt, von mir aber beherrscht wird, wie ein Feldherr das Geschehen beherrscht – dann fühle ich mich sehr wohl, kann in jeder Minute arbeiten. Ich kann mich einfach an den Schreibtisch setzen und weiterschreiben, immer wann ich Zeit habe. Aber das ist eine Phase, die hart erarbeitet werden muss.

Postskriptum, Berlin, 18. Mai 2025
Das 1981 von der Redaktion Neue Musik (Reinhard Oehlschlägel) in Auftrag gegebene und am 17. März 1982 vom Deutschlandfunk ausgestrahlte Komponistenportrait folgte relativ strikten formalen Vorgaben: Es hatte in erster Linie aus dem thematisch strukturierten Zusammenschnitt von Gesprächen mit dem Portraitierten und einer für das Format angemessenen Grundierung durch dessen Musik zu bestehen sowie hinsichtlich des Umfangs limitierten Erläuterungs- und Kommentarteilen.
Was die Musik betrifft, schlug der Komponist in einem Brief vom 30. Oktober 1981 vor, „sich ausschließlich auf das ,Lied für Bassklarinette und Streichquartettʻ zu beschränken“. Diesem Wunsch wurde ebenso entsprochen wie seinen Forderungen nach Umarbeitungen und Streichungen im Manuskript (von dem es daher, durch den Arbeitsprozess bedingt, mehrere Versionen gibt). Mit dem Endresultat zeigte sich Erhard Grosskopf in einem Schreiben vom 1. August 1982 „nun doch ganz zufrieden“.
Die Redaktion von musiktexte.online bat anlässlich des Todes von Erhard Grosskopf am 17. April 2025 um die Überlassung des Sendemanuskripts von 1982, das für die vorliegende Veröffentlichung bis auf die wenigen ein- und überleitenden Worte des Autors auf den Gesprächsteil reduziert wurde.
Wir danken auch Petra Grosskopf für die redaktionelle Unterstützung und das Verfügung-Stellen der Fotos und Quellen!